Als neulich die Einladung von BMW Motorrad ins Haus flatterte, die neue BMW R18 zu testen, musste ich schmunzeln. Die Motorradkategorie der Cruiser hat sich mir bislang noch nicht wirklich erschlossen. Groß, schwer und drehmomentstark. Bislang nicht „my cup of tea“. Aber so kurz nach meinen 50. Geburtstag dachte sich BMW vielleicht, ich besäße langsam die nötige geistige Reife für diese Art Motorrad.
Berührungspunkte mit dem Segment hatte ich erst bei zwei Gelegenheiten. Vor zwei Jahren führ ich die damals neu präsentierte Honda Goldwing, dieses Jahr durfte ich die Triumph Rocket 3R ausreiten:
- Honda Goldwing: 1.800 ccm, 126PS bei 5500/min, max. Drehmoment von 170 Nm bei 4500/min, 365kg
- Triumph Rocket 3: 2.458 ccm, 167 PS bei 6.000/min, max. Drehmoment von 221 Nm bei 4.000 U/min
- Im Vergleich dazu die BMW R18: 1.802 ccm, 91 PS bei 4.750/min, max Drehmoment 158 Nm bei 3000/min,
Wenn ich mir jetzt meine Erfahrungen von den beiden Tests durchlese, muss ich mir eingestehen, daß es durchaus Spaß gemacht hat, sich dieser Kategorie Motorräder hinzugeben. Für den bevorstehenden Test der R18 nahm ich mir vor, das Motorrad nicht aus dem Kopf sondern vor allem aus dem Bauch heraus zu beurteilen. Weniger „warum kann es das“, mehr „was macht es mit mir“. Meine These ist, daß Menschen dieses Motorrad kaufen, um einen gewissen Gemütszustand zu erreichen. Nicht den Adrenalinrausch beim Kurvenwetzen, vielmehr das Angleichen der inneren Schwingungen an die Leerlaufdrehzahl des Big Boxers.
Ahne der R18: der Heritage Prototyp
BMW hat sich schon länger mit dem Thema Heritage Boxer auseinandergesetzt. Beim Abendessen erfuhr ich von Fred Jakobs – Leiter BMW Group Archiv, daß im oberen Stockwerk der BMW Group Classic der erste Prototyp steht.
Der Rahmen nimmt starke Anleihen beim R7 Prototyp aus dem Jahre 1934 und die Fishtail-Aupuffe waren damals schon Thema, allerdings kleiner dimensioniert. Das Heck mit dem Bobber-Einzelsitz orientiert sich mehr an der R5. Tacho und Blinker waren von motogadget und der Scheinwerfer fand so auch seinen Weg an die R nineT. Als Antrieb hängt der luftgekühlte 1.200ccm Boxer im Rahmen.
Der amerikanischen Klientel und damit der Hauptzielgruppe des Big Boxers war dieser Motor schon bei der R1200 C zu klein. „Nothing beats cubic inches!“. Und hier lag die Maßgröße um Ernst genommen zu werden bei mindestens 110 Kubikzoll. Und die entsprechen ziemlich genau 1.800 ccm.
Und so entstand der größte Boxermotor, den BMW jemals gebaut hat. Ausladende, chromglänzende und selbstbewusste 110kg Metall:
Das Design
Eingebettet ist dieser Antrieb in einen Doppelschleifenrahmen, umrahmt von klassischen Designzitaten. Das Zentralfederbein versteckt sich gekonnt unter dem Sitz und dem hinteren Schutzblech und ist nahezu unsichtbar. Daraus ergibt sich die schöne und fasst durchgehende Rahmenlinie eines Starrahmens. Die Standrohre der Teleskopgabel vorne sind dem klassischen Vorbild folgend mit Gabelhülsen verkleidet.
Der offen laufenden Kardan mündet in ein Hinterachsgetriebe, das in kleinerer Dimension auch der BMW R5 hätte entstammen können. Dazu kommen die klassische Tropfenform des Tankes mit Doppel-Linierung, Lenker, Lenkarmaturen und auch die Blinkergehäuse in chromglänzendem Metall. Sehr gut gefallen hat mir das Einzelinstrument. Gut gezeichnete Geschwindigkeitsanzeige, alle Hinweisleuchten sind nur dann sichtbar, wenn sie aktiv sind, sonst sieht man nur das graue Zifferblatt. Darunter eine Digitalanzeige, die die nötigsten Informationen anzeigt wie Drehzahl, Fahrmodi oder Kilometeranzeige.
Was auffällt: es sind kaum Kabel oder Leitungen zu sehen. Fast alles konnte im Lenker, unter den Verkleidungsteilen oder gar unter den Zylinderdeckeln des Boxers verborgen werden. Sehr clean.
Kunststoff findet man kaum am Motorrad: an der Verkleidung des Luftfilterkastens oder des Ölkühlers zum Beispiel. Letzterer wirkte ein bisschen wie nachträglich hinzugefügt, das war in der Studie zur R18 besser gelöst. Aber da kann der Zubehörmarkt sicher eine Lösung finden.
Hier steht ein Motorrad, das unverkennbar BMW ist. Klare historische Anleihen, gepaart mit dem ikonischen Boxermotor. Nur eben alles in XXL.
Fahreindrücke
Das erste Aufsitzen. Man merkt, daß aus dem Vollen gearbeitet wurde, wenn man den Lenker in die Hand und die 345kg vom Seitenständer nimmt. Und damit meine ich nicht nur das Gewicht der Maschine, man spürt auch die Materialqualität der Hebel und Armaturen.
Beim Anlassen spürt man den typischen Boxerschlag, allerdings in einer der Hubraumgröße entsprechenden Vehemenz. Der Motor lässt einen nicht im Umklaren darüber, daß hier annähernd Masskrug-große Kolben ihre Arbeit verrichten. Hält man den Lenker dabei nicht fest, vibriert er lustig vor sich hin (seht ihr dann im Video zum Test).
Die Sitzposition ist für mich bisschen wie auf dem stillen Örtchen. Oberkörper aufrecht, Kniewinkel bisschen weniger als 90°. Ich sortiere meine Füße auf den mittig montierten Fussrasten hinter den Zylindern ein. Es mag an meiner Schuhgröße liegen, daß ich beim Schalten oft die Seitenständeraufnahme erwische anstatt des Schalthebels. Muss ich halt die Füße etwas auswärts stellen.
Wir rollen aus München raus und der morgendliche Berufsverkehr meint es gut mit uns, so dass wir die Stadt bald hinter uns liegen lassen können. So langsam habe ich meine Gräten sortiert und mache mich mit den drei Fahrmodi „Rain“, „Roll“ und „Rock“ vertraut, die neben der Gasannahme auch die Automatische Stabilitätskontrolle ASC sowie die Motor-Schleppmoment-Regelung MSR beeinflussen. BMW definiert das so:
- Im „Rain“-Modus ist die Gasannahme weich ausgelegt und ASC sowie MSR berücksichtigen in ihrer Regelungscharakteristik eine nasse und damit rutschigere Fahrbahnbeschaffenheit für besonders hohe Fahrsicherheit.
- Im „Roll“-Modus bietet der Motor eine optimale Gasannahme und ASC sowie MSR sind so eingestellt, dass die ideale Performance auf allen Straßen erreicht wird.
- Der Fahrmodus „Rock“ ermöglicht, das volle dynamische Potenzial der neuen R 18 auszuloten. Die Gasannahme ist sehr spontan und direkt und die ASC lässt etwas mehr Schlupf zu.
Den Roll-Modus fand ich in der Stadt ok, auf der Landstrasse bin ich dann gleich in den Rock-Modus gegangen. Man kann zwar im Roll-Modus bequem auf der Landstrasse dahingleiten und das Panorama des Voralpenlandes geniessen, aber mir persönlich war das zu unspektakulär.
Im Rock-Modus bewegte ich die Maschine meistens im dritten und vierten Gang auf der Landstrasse, wobei der Motor da auch selten über 4.000/min drehte. Lediglich auf der Autobahn bemühte ich die beiden oberen Gänge des Sechsganggetriebes. Bei höheren Drehzahlen über den 4.000/min steigen auch etwas die Vibrationen, was ich allerdings am Vormittag gerne in Kauf nahmen, rüttelte es doch etwas Wärme in den Körper bei eher kühlen Temperaturen.
Ein bisschen mehr Attacke ging dann auf den Kurven des Sudelfelds. Mittlerweile hatte ich mich an Dynamik und Dimensionen der Maschine gewöhnt, Zeit also für eine etwas forschere Gangart. Bergauf dritter, in Kurven zweiter Gang und das Motorrad mit Verve in die Biegungen geworfen. Erstaunlich, wie der tiefe Schwerpunkt des Boxers die Maschine bolzenstabil auf dem Boden hält. Wenn sie rollt, rollt sie und das richtig gut. Reichlich Materialzerspanung an den Fußrastenauslegern sind der beste Beweis dafür. Auch wenn man es unterm dunklen Visier nicht sieht: ich grinste sehr. Das war ein Modus, in der mir die R18 voll taugte.
Vorsicht geboten war beim Wenden der Maschine oder Rangierem auf engerem Raum. Ohne stützende Kreiselkräfte nötigt einem das Gewicht der Maschine Respekt ab. Die Rückfahrhilfe fürs Rangieren oder die Hill Start Control für leichtes Anfahren am Berg kommen einem dann gar nicht mehr so abwegig vor.
Was mir beim Angasen etwas gefehlt hat: die Akustik. Für mein Dafürhalten hätte der Big Boxer gerne sonorer auftreten dürfen. Mehr dumpfes Wummern im Stand und zorniges Hämmern obenraus. Einige alternative Auspufflösungen sind ja schon verfügbar. Das Thema Customizing ab Werk hat BMW hier weiter kultiviert.
Was BMW von der R nineT gelernt hat
Genau wie bei der R nineT hat auch die R18 die Möglichkeit zur Individualisierung ins Lastenheft geschrieben bekommen. Herausgekommen ist eine sehr umbau- freundliche Architektur, der Heckrahmen ist leicht abnehmbar, ebenso ist der Lacksatz leicht zu demontieren.
Hydraulikleitungen und Kabelsträngen haben vorgesehene Schnittstellen, die problemlos die Montage höherer oder niedrigerer Lenker ermöglichen. Die sichtbaren Ventildecke und der Motorgehäusedeckel sitzen außerhalb des Ölraumes, somit sind sie auch leicht zu tauschen.
Das BMW Motorrad Ausstattungsprogramm bietet eine große Auswahl, um die R18 ab Werk umfangreich zu individualisieren. Bereits zur Markteinführung der neuen R 18 gibt es zwei verschiedene, zusammen mit Roland Sands Design gestaltete Design-Kollektionen von Aluminium-Frästeilen. Weitere Kooperationen bestehen mit Mustang Seats (Sitzbänke) sowie mit Vance & Hines (Auspuffanlagen).
Mein Fazit zur R18
Die materielle Opulenz und die konsequente Umsetzung klassischer BMW Motorrad Designmerkmale begeistern mich bei der R18. Und nachdem ich den ganzen Tag dem vor mir fahrenden Alan Cathcart aus Motorradheck geschaut habe, ist das auch eine meiner Lieblingsperspektiven geworden. Die schmalen Spitzen der Fishtail-Auspuffe, der schwarze Heckfender mit der Doppellinierung, die seitlich ausragenden Chromgebirge der Zylinderkopfdeckel sind wirklich eine bemerkenswerte Gesamtkomposition.
Bei den Fahreindrücken bin ich definitiv Team „Rock“ und nicht Team „Roll“. Tiefer Schwerpunkt und reichlich Drehmoment machen Spaß, das Schiff auf die Fußrasten zu legen.
Für lange Touren würde ich mit der Sitzposition nicht glücklich werden. Obwohl wir gerade mal über 200 km gefahren sind, hat es mir schon ordentlich im Gesäß gezwickt.
Wird die R18 ein Erfolg werden am Markt? Da habe ich wenig Zweifel. Mein persönlicher Favorit für die Kombination Retro und Boxer bleibt die R nineT. Mit der werde ich auch auf langen Touren glücklich.
Technische Daten der R18 First Edition
Motor: Luft-/ölgekühlter Zweizylinder-Boxermotor, 1.802 ccm Hubraum aka 110 cubic-inches, Leistung 91 PS/67 kW bei 4.750/min, max Drehmoment 158 Nm bei 3.000/min, Bohrung x Hub 107,1/100 mm, Verdichtung 9,6 zu 1, OHV, 4 Ventile pro Zylinder, Kraftstoffeinspritzung, Drosselklappen-Ø 48 mm, klauengeschaltetes 6-Ganggetriebe, Rückwärtsgang optional, hydraulisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung, geregelter Dreiwege-Katalysator, Abgasnorm Euro5
Fahrwerk: Stahl-Doppelschleifen-Rohrrahmen, beide Unterzüge verschraubt. Nicht einstellbare Telegabel mit 49 cm-Standrohr-Ø, Rohrschwinge mit Cantilever-Federbein, Federvorspannung einstellbar. Freilaufende Kardanwelle mit Kreuz- und Tripoidengelenk. Federweg v/h 120/90 mm, Aluminium-Drahtspeichenräder, vorne 3,5 x 19 Zoll, hinten 5,0 x 16 Zoll. Reifendimension vorne 120/70 R bzw B 19 (herstellerabhängig) und hinten 180/65 R 16, Erstaurüster sind Bridgestone und Michelin, Doppelscheibenbremse mit 300 mm Ø vorne mit zwei 4-Kolben-Festsattelbremszangen, Einscheibenbremse mit 300 mm Ø hinten mit einer 4-Kolben-Festsattelbremszange, ABS (Teil-Integral).
Elektrik + Assistenz-Systene: Lichtmaschine 600 W, Batterie 12 Volt/26 Ah, Abblend + Fernlicht LED mit Projektionsmodul, E-Starter. Automatische Stabilitätskontrolle ASC und Motorschleppmoment-Regelung MSR, Fahrmodi Rock, Roll + Rain.
Maße/Gewichte: Radstand 1.731 mm, Sitzhöhe 690 mm, Lenkkopfwinkel 57,3 Grad, Gewicht fahrfertig 345 kg, zulässiges Gesamtgewicht 560 kg, Tankinhalt 16 Liter. Fahrleistungen laut Werk: 0-100 km/h in 4,8 s, Höchstgeschwindigkeit über 180 km/h. Kraftstoffverbrauch (WMTC) 5,6 l/100 km.
Preis: ab 22.225,21 Euro zzgl. Fracht und Verpackung
Andere Eindrücke zur R18 findet ihr bei 1000PS, Gasgriffsalat, Klonblog, Jochen Vorfelder sowie TT Motorbikeblog.
Bilder: BMW Motorrad, Markus Jahn, Daniel Kraus, Bernhard Limberger
Videoaufnahmen: BMW Motorrad, Stefan Tappert
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