Als Kind verbrachte ich mit meinen Eltern einmal die Sommerferien am Gardasee, ich mag vielleicht acht Jahre alt gewesen sein. Meine Eltern hatten Freunde aus München, die zum gleichen Zeitpunkt dort Urlaub machten und ein Boot hatten. Nicht irgendein Boot, nein. Eine Riva Aquarama. Ob gekauft oder gemietet weiss ich nicht mehr. Was sich mir aber ins Gedächtnis gebrannt hatte, war neben dem wundervollen Design die Motorisierung des Bootes und was sie damit machte: zwei V8-Motoren im Heck sorgten für eine Gesamtleistung von 700 PS.

Allein das Anlassen und das Brabbeln im Leerlauf, der Sound wurde von der Kaimauer reflektiert. Pure Gänsehaut. Dann langsam aus dem Hafenbecken auslaufen und souverän auf den See gleiten. Und draussen auf dem See sollte ich dann erleben, was es bedeutet, wenn man „den Hebel auf den Tisch legt“. Vollgas. Die 16 Zylinder atmen tief ein, die Antriebswellen erhöhen sprunghaft ihre Rotationsgeschwindigkeit, beide Propeller wirbeln durchs Wasser und beginnen, das Holzboot nach vorne zu treiben. Das vorher sonore Grollen verwandelt sich in ein löwenartiges Brüllen und ich musste mich irgendwo festhalten, um nicht durchs Boot zu purzeln. Erregt und fasziniert zugleich nahm ich dieses Spektakel in mich auf. Irre.

Wir springen ein paar Jahrzehnte nach vorne. Mein freundlicher Triumph-Händler freut sich, daß er wieder komplett öffnen darf und bietet an zwei Tagen die aktuelle Modellpalette zum Probe fahren an. Darunter eine Rocket 3 R. Ein Anruf beim Händler und ich konnte mir den letzten Probefahrt-Termin am Freitag Abend sichern.

Da stand sie nun vor mit in Rot: 2.458 cm³ verteilt auf drei Zylinder. Die 167 PS mögen in Anbetracht des Hubraums nicht so sehr beeindruckend sein, aber die 221 Nm bei 4.000 U/min sind es bereits auf dem Papier! Die Sitzhöhe beträgt lediglich 773 mm, dafür bemisst der Radstand stramme 1677 mm. Die 291 kg Trockengewicht verteilen sich bodennah flach und lang.

Der Händler fragt mich noch, ob er sie vom Gehweg runter fahren soll und ich entgegne ihm scherzhaft, daß das kein Problem sei, ich sei im Besitz eines LKW-Führerscheins. Trotzdem rangierte ich die Maschine mit großer Vorsicht auf die Fahrbahn, Respekt hatte ich vor diesem Trumm.

Die ersten Meter vorsichtiges Einrollen und ich habe wieder ein ähnliches Gefühl wie damals als Kind, als wir mit der Riva aus dem Hafenbecken ausgelaufen sind. Unter dem breiten 18 Liter Spritfaß grummelt der Dreizylinder und flext schon mal ein bißchen.

Der abendliche Berufsverkehr bremst mich etwas ein, aber so kann ich mich mit der Ergonomie der Maschine vertraut machen. An die Position der Fussrasten muss man sich kurz gewöhnen, wenn man umsteigt von einer sportlicheren Sitzposition. Der breite Lenker liegt gut in der Hand, die Maschine folgt den Lenkimpulsen willig. Man merkt, daß man viel Masse bewegt, aber es stellt sich schnell ein vertrautes Gefühl ein.

An der letzten Ampel vor der offenen Landstrasse mogel ich mich an den Autos vor mir bis an die Haltelinie. Jetzt bin ich bereit, den Hebel auf den Tisch zu legen. Das Gesäß fest in die Sitzmulde gedrückt, die Knie suchen den Tankschluss, die Arme am Lenker erwartungsvoll vorgespannt. Die Ampel geht von Rot auf Gelb, der erste Gang klackt ein. Das Gelb erlischt und das Grün beginnt aufzuflackern, die Drosselklappen öffnen sich und fluten die jeweils 820 cm³ großen Brennräume mit Sprit. Und dann ist dieses Gefühl wieder da, daß ich damals als Achtjähriger hatte. Unfassbarer Vortrieb aus dem Drehzahlkeller, mit der Vehemenz eines sehr, sehr wütenden Nashornbullen prescht das Motorrad vorwärts. Die 240er Hinterradwalze verzahnt sich mit dem Asphalt und ist redlich bemüht, die Kraft, die über den Kardan vom Motor weitergereicht wird, in Vortrieb umzusetzen. Und schneller als man „Fuck, wie geil!“ in den Helm brüllen kann ist man auch schon in führerscheinverlustgefährdenden Geschwindigkeitsregionen. Daher bemühe ich schnell die 320 mm Doppel-Bremsscheiben vorne und die 300 mm Bremsscheibe hinten, um das Geschoß auf ein landstrassentaugliches Tempo einzuregeln. Um kurz danach das Procedere wieder von vorne zu beginnen. Und dabei dämlich in den Helm zu grinsen. Gut, daß ich das dunkle Visier drauf hatte.

Auf der Rückfahrt in die Stadt bremst uns wieder der Verkehr ein. Ich lass die Maschine entspannt kurz über Leerlaufdrehzal dahinbrabbeln und cruise gemächlich vor mich hin. An einer Ampel kommt neben mir eine Harley zum Stehen. Road King Classic mit Batwing-Verkleidung, volles Ornat. Der Fahrer versucht, seine Coolness zu bewahren aber aus den Augenwinkeln sieht man die bübische Neugier blitzen. I feel you, brother. Mir geht es genauso.

Beim Händler parke ich die Rocket direkt hinter meiner Street Triple. Unterschiedlicher könnten Dimensionen nicht sein. Hier der muskulöse Nashornbulle, da die schlanke Gazelle.

Danke Triumph, daß ihr dieses beeindruckende Motorrad gebaut habt. Es war mir ein Fest es zu erfahren!