Oder: Wie ich als Boxer-Jungfrau den 1800ccm-Monster-Motor erlebte!

Hi! Lasst mich zuerst mit einer kleinen Vorstellung beginnen. Ich bin Nico und hatte vor kurzem die Möglichkeit die BMW Heritage Modelle für Kettenritzel.cc zu „testen“. Alex kenne ich über die Motorradpodcast-Bubble, da ich regelmäßig im BEARCast – Motorrad Reise Podcast als CoHost der Formate „Underdogs“ und „Hauptsache ballert!“ zu hören bin. Ursprünglich bin ich jedoch auch in der Bloggerszene umtriebig und Mitgründer des Genussblogs www.coffeewhiskyandmore.de. Das heißt ich bin alles andere als ein professioneller Motorradtester, habe mich über die Möglichkeit an der Pressetour in die bayrischen Alpen teilzunehmen aber mehr als gefreut. Meine Fahreindrücke mit den luft-/ölgekühlten Boxer-Modellen R nineT Urban G/S und R 18 Classic habe ich in diesem Gastbeitrag zusammengefasst.

Tag 1: BMW R nineT Urban G/S

BMW Heritage R nineT Urban G/S

Montag, 09:30. Da steh ich nun mit leicht flauem Gefühl im Magen vor diesem Ungetüm von Motorrad. Während ich dem Fahrerbriefing des Tourguides lausche stehe ich direkt neben der BMW R 18 Classic, dem neusten Heritage-Modell mit gewaltigem 1800ccm-Boxer. Das Endziel des heutigen Tages ist die Rossfeld Panoramastraße im Nationalpark Berchtesgaden. Ich kenne die Strecke recht gut und bin deshalb froh heute in die R nineT-Gruppe eingeteilt worden zu sein, deren 1170ccm-Boxermotor im Vergleich niedlich wirkt.


Meine Unerfahrenheit in Sachen Boxer sprach sich bei der Anmeldung recht schnell rum und ehe ich mich versah stand schon Sepp Miritsch, Baureihenleiter der BMW Heritage Modelle, neben mir. Er setzte mich auf eine Urban G/S, die mit der roten Sitzbank und Speichenfelgen schon in der Basisfarbe „Lightwhite uni“ und den Streifen sehr schick da steht. Das Design ist natürlich ein Flashback in die 80er Jahre, in die Anfangsjahre des GS-Mythos. Statt Scheibe bietet die Urban G/S einen kurzen Flyscreen, der mir den Wind gezielt auf die Brust lenkte und den Helm frei von Turbulenzen hielt. Für meine Größe (1,96m) war das die optimale Lösung auf dem Motorrad.

Trotz Retro-Design ist die R nineT Baureihe aber natürlich technisch auf dem neusten Stand. Das Euro 5-Upgrade bietet unter anderem ein überarbeitetes Fahrwerk, diverse elektronische Helferlein und 109 PS bei 7.250/min. Die Spitzenleistung ist zwar im Vergleich zum Euro 4-Modell um ein PS gesunken, ich war aber sowieso mehr am Drehmoment (116 Nm bei 6.000/min) interessiert. Was spürbar ist der berühmte Boxer-Punch wirklich?

BMW Heritage R nineT Urban G/S

Von bayrischer Gemütlichkeit am Vormittag…

Leicht wackelig und mit Respekt vor dem neuen Motorrad ging es vom Flughafen München Richtung Osten und weg aus dem Speckgürtel der Großstadt. Mir war natürlich vor dem Start schon bewusst, dass die Urban G/S keinen Drehzahlmesser hat. Aber eine Ganganzeige wird ein Motorrad in der Preisklasse doch haben? Fehlanzeige. Also war nach Gehör fahren angesagt. Der Boxer macht sich zum Glück durch sanfte Vibrationen und seinen super Klang bemerkbar, wenn er nach einem anderen Gang verlangt. Und so wurden wir beide nach den ersten 20 km schon eine Einheit und das wackelige Fremdeln zu einer wunderbaren Leichtigkeit.

Apropos Leichtigkeit, der erste Überholvorgang ließ auch nicht lange auf sich warten. Hart am Gas und mit genug Druck vom Boxer flogen wir an einer kleinen Autokolonne vorbei. Ich bin mir nicht sicher ob ich das mit meiner eigenen V-Strom auch gewagt hätte, aber das war mal wieder ein Beispiel dafür, dass Hubraum mit nichts zu ersetzen ist. Außer mit noch mehr Hubraum natürlich. Ab da lief es sehr geschmeidig. Auf flowigen, kurvigen Straßen fuhren wir der Sonne entgegen. Genauer gesagt ging es über Haag i.Ob. in Richtung Chiemgau. Den Chiemsee erreichten wir nach ca. 100km am späten Vormittag.

BMW Heritage R nineT Urban G/S

Das Mittagessen in Seenähe war die beste Zeit um ein erstes Zwischenfazit zu ziehen. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit ist die BMW R nineT ein echtes Wohlfühlmotorrad. Die Urban G/S lässt sich mit ihrem leicht erhöhten Federweg fahren wie eine Sänfte und schluckt die Straße gemütlich weg. Im richtigen Gang ist sie dabei auch sehr leise. Aber wenn es im rechten Handgelenk juckt und der Fuß nicht schaltfaul ist, dann kann man den Hooligan-Charakter des Bikes erleben. Der kernige Auspuffsound trägt seinen Teil dazu bei. Zusammen mit der Klangkulisse direkt vom Motor klingt die BMW bassig & dumpf ohne jedoch zu laut zu werden.

…zum Kurvengeballer am Nachmittag

Die Vielseitigkeit der Urban G/S begeisterte mich schon am Vormittag. Der volle Fahrspaß folgte jedoch am Nachmittag nach dem ersten längeren Fotostopp. Hinter Inzell begann das Kurveneldorado für die BMW Heritage Modelle. In recht flottem Tempo folgte die Gruppe dem Tourguide Archie (MTR-Tour) durch seine Heimat, das Berchtesgadener Land. Hier bemerkte ich die ersten kleinen Mankos an der R nineT Urban G/S: Für enge Kurven und sportliche Fahrweise ist mir der Lenker etwas zu schmal. Außerdem verändern sich in bestimmten Drehzahlbereichen die Vibrationen vom angenehmen Begleiter ins Nervige. Der Fußschalthebel, der mich beim Losfahren und auf den ersten Kilometer etwas Aufmerksamkeit kostet, läuft aber mittlerweile ganz geschmeidig wenn das Motorrad warm ist.

BMW Heritage R nineT Urban G/SBMW Heritage R nineT Urban G/S

Highlight des Tages war dann die Rossfeld Panoramastraße oberhalb von Berchtesgaden, die bei schönem Wetter ein tolles Panorama über die bayrischen und österreichischen Alpen bietet. Trotz der drohenden Gewitterfront, die wir am Nachmittag schon bedrohlich im Nacken hatten zogen wir die letzten beiden Fotostopps auf der wahrscheinlich bekanntesten Bundesstraße der Republik durch. Auf den letzten 5km von der Mautstation Süd bis zum Hotel Edelweiss durfte die BMW Heritage Palette noch ihre „Norwegentauglichkeit“ unter Beweis stellen. Ich hatte zwar ganz vergessen, dass die R nineT serienmäßig einen Rain-Modus mitbringt, aber auch im Road-Modus hatte ich keinerlei Probleme auf den nassen Bergstraßen. Optional hatte meine Urban G/S auch den Dirt-Modus an Board, den ich aber so wie auch den Tempomat nicht ausgiebig getestet habe.

Kurzfazit zur R nineT Urban G/S

Trotz des Regens, der mit einem Stiefelbier auf der Panorama-Terrasse mehr als wettgemacht wurde, war der Tag mit der BMW R nineT Urban G/S bombastisch. Da stellt sich also die Frage: Würde ich mir eine „Ninette“ zu Hause hinstellen? Aktuell ist die Antwort Jein. Die R nineT kann ich jedem, der auf puristische Motorräder steht ans Herz legen. Als Zweitmotorrad hätte die Urban G/S oder ein anderes BMW Heritage Bike auch zu 100% meine Gnade. Hier springt gleich wieder der Kopf-Konfigurator an und schwelgt im Customizerhimmel. Allerdings fahre ich gerne lange Touren und in den Urlaub. Persönlich ist mir die Urban G/S da nicht vielseitig genug bzw. müsste mit größerem Aufwand reisetauglich gemacht werden.

BMW Heritage R nineT Urban G/SBMW Heritage R nineT Urban G/S

Tag 2: BMW R18 Classic

BMW Heritage R 18 Classic

An Tag zwei des BMW Heritage Ride ging es ans Eingemachte. Ich kam in den Genuss die R 18 Classic zu fahren. Dabei handelt es sich um die zweite Variante in der R 18 Familie mit Scheibe und großen, lederbezogenen Satteltaschen im klassischen Softbagger-Look. War meine Ehrfurcht vor der Maschine übertrieben? Ich bin der Meinung man muss immer mit Respekt, aber nie mit Angst aufs Motorrad steigen. Den Fehler hab ich jedoch an Tag eins gemacht. Da meine Angst die Kontrolle über ca. 365kg beim Rangieren zu verlieren größer war als mein Mut gibt es nur wenig Bilder von mir und der R 18 am Rossfeld.

Klar, das Gewicht lässt sich nicht wegzaubern und im Stand sollte man wissen, was man tut. Die vieldiskutierte Rückfahrhilfe ist daher eine gute Investition und ein Muss auf der unfassbar langen Aufpreisliste von BMW. Ist das Monstrum allerdings einmal in Bewegung, spürt man von den Kilos nur noch wenig. Als erstes ist das pure Anlassen des Motors ein Erlebnis. Per Knopfdruck schüttelt sich der Boxer erstmal wach. Es fühlt sich etwas an wie ein Flugzeugmotor nach 100 Jahren Winterschlaf. Meint BMW vielleicht auch das mit Heritage? Die Anfänge des Unternehmens im Flugzeugbau sind ja bekannt. Nach dem Start gibt sich der Cruiser allerdings ganz zivilisiert und bollert leise vor sich hin.

BMW Heritage: Motorräder wie aus dem Bilderbuch

Zum Start des heutigen Tages fuhren wir ein paar Kilometer zum Königssee um noch einen Fotostopp vor der bayrischen Bilderbuchkulisse mitzunehmen. Wie gemalt lag der Königssee vor den Bergen, darüber der blau-weiße Himmel. Während Fotograf und Videograf wieder ihr Bestes gaben blieb noch genug Zeit übrig um sich mit den anwesenden BMW Spezialisten über technische Details der Heritage Modelle auszutauschen. An einigen R 18 Classic wurde mit wenigen Handgriffen die Scheibe abgenommen um ihr einen neuen Look zu verpassen. Windschutz ist ja immer ein großes und sehr individuelles Thema. Für die R 18 gibt bzw. wird es 10 Scheiben in verschiedenen Höhen geben. Da wird sicher für jeden die richtige Lösung dabei sein. Aber auch ohne Scheibe und mit den großen Satteltaschen sieht die R 18 klasse aus.

BMW Heritage R 18 Classic

Nebenbei hat mich der Anspruch von BMW an das Thema Customizing bei der R 18 Baureihe begeistert. Im Konfigurator sind schon enorm viele Zubehörteile verfügbar. Von den bereits erwähnten Scheiben geht es über Zierteile und Sitzbänken bis hin zu neuen Felgen, die teilweise mit bekannten Namen aus der Szene entwickelt wurden. Es ist allerdings nicht so, dass der Kunde sein Traumbike von Werk ab bestellen muss, sondern alle Teile sind auch im After Market verfügbar. Besonderen Wert wurde bei der Entwicklung auf die Schrauberfreundlichkeit gelegt, damit der Kunde selber, seine Vertragswerkstatt oder der Customizer seines Vertrauens möglichst einfach am Motorrad schrauben kann. Der Erfolg der R nineT Familie hat ja auch gezeigt, dass die Szene die BMWs gerne als Basis für die tollsten Umbauten nimmt.

BMW Heritage R 18 Classic

Cruiser Lifestyle mit der BMW R 18

Zurück auf die Straße. Sobald der große Boxer die Maschine einmal ins Rollen gebracht hat ist von der Behäbigkeit im Stand wenig zu spüren. Im Vergleich zur R nineT merkt man natürlich ein anderes Fahrverhalten, besonders die Schräglagenfreiheit zeigt einem die Grenzen des Motorrads auf. Zu enge Radien mag die R 18 nicht und diktiert dem Fahrer in welchem Tempo man für eine saubere Linie zu fahren hat. Abseits der Extreme geht jedoch mehr als ich der Maschine am Anfang zugetraut hätte. Auch engere Radien lassen sich überraschend leicht und präzise nehmen. Nachdem wir Ramsau und den Hintersee mit seinen schmalen Straßen hinter uns gelassen haben fühlte ich diese Leichtigkeit und innere Gelassenheit, die einem nur schwere Cruiser geben können.

BMW Heritage R 18 Classic

Die breiten, weiten Kurven der deutschen Alpenstraße und runter ins Chiemgau sind genau das Revier des großen Boxers. Von den 158 Nm liegen ständig genug an um selbst am Berg nicht runterschalten zu müssen. Die 91 PS Spitzenleistung spielen bei so einem Motorrad nur eine Nebenrolle. Am wohlsten fühlt sich die R 18 sowieso bei Drehzahlen zwischen 2000 und 4000 Touren. Zu hoch gedreht werden mag sie sowieso nicht, was sie den Fahrer auch durch bauartbedingte Vibrationen spüren lässt. Die R 18 und die R 18 Classic kommen ganz puristisch mit einem Rundinstrument aus, bieten im Gegensatz zur R nineT allerdings im kleinen LC-Display auch eine Ganganzeige und einen digitalen Drehzahlmesser in 100er-Schritten.

Ist die BMW R 18 auch für große Fahrer geeignet?

Um Strecke zu machen erwartete uns an diesem Tag auch eine Autobahnetappe auf der A8, die die R 18 Classic wie erwartet sehr souverän gemeistert hat. Spätestens dort war die anfangs ungewohnte Sitzposition kein Thema mehr für mich. Ich habe mich einfach wohlgefühlt und behaupte mal wer nicht gerade vom Supersportler umsteigt wird auch keine Probleme haben. Die Skepsis anderer großer Fahrer bezüglich Beinfreiheit und Boxer kann ich an dieser Stelle auch zerstreuen. Durch die mittlere Position hinter dem Motor hat man schon einen direkten Kontakt als bei Cruisern mit vorverlegten Rasten, es wirkt jedoch nie verkrampft. Ich würde jedoch dazu raten das Bike einmal mit klassischen Fußrasten und mit den Trittbrettern probe zu fahren. Gerade bei großen Füßen und dicken Stiefeln ist der Schalthebel nicht besonders intuitiv zu erreichen und die Trittbretter mit Schaltwippe könnten hier die Kaufentscheidung ausmachen.

BMW Heritage R 18 Classic

Kurzfazit zur BMW R 18 Classic

Nach der Autobahnetappe cruisten wir gemütlich durch das Mangfalltal zurück Richtung München und ich war etwas traurig die R 18 Classic bald wieder abgeben zu müssen. Dieses Motorrad ist ein echtes Erlebnis. Die wenigsten von uns werden jemals so ein Traumbike besitzen, eine Probefahrt mit der R 18 oder R 18 Classic kann ich aber jedem nur wärmstens empfehlen. Egal ob ihr nach der Fahrt sagt „toll, jetzt weiß ich was ich nicht brauche“ oder noch euren Enkelkindern vorschwärmen werdet – es ist einfach eine Bereicherung des persönlichen Motorradhorizonts.

Alex himself ist die „normale“ R 18 (was ist an diesem Motorrad schon normal?) auch schon gefahren und hat seine eigenen Eindrücke in diesem Fahrbericht niedergeschrieben. Im Gegensatz zu meinem Artikel finden interessierte Leser dort auch noch mehr technische Daten und Hintergründe zum Motorrad.

BMW Heritage Ride für die Ohren…

Direkt nach der Ausfahrt war ich im Twinspark Motorradpodcast bei Alex und Carina zu Gast. Noch mit frischen Eindrücken im Kopf habe ich mich mit den beiden über die BMW Heritage Modelle, meine eigene kurze Moped-Karriere und ein paar andere Themen unterhalten. Es würde mich freuen, wenn ihr anschließend mal rein hört.

… und mehr für die Augen

Neben der Urban G/S und der R 18 Classic standen noch weitere Fahrzeuge an diesen beiden Tagen zur Verfügung. Es folgen ein paar fotografische Eindrücke mit den Modellen:

  • R 18 Pure – in der neuen Farbe Galaxy Dust metallic
  • R nineT – voll aufmagaziniert mit Option 719-Teilen
  • Scrambler – mit einigen Option 719 Details
  • Urban G/S  – als Edition 40 Years GS
  • BMW X7 M40d – unser Begleitfahrzeug

Zum Schluss bedanke ich mich ganz herzlich bei BMW Motorrad für die Einladung und Durchführung des BMW Heritage Rides und bei Alex für die Möglichkeit für Kettenritzel.cc an dieser Pressetour teilnehmen zu können.

Bilder: Nicolas Martin, Markus Jahn