Motorradblog über Benzinkultur, Motorradtouren und Custombikes

BMW R 1300 GS – der Fahrbericht

Einer der 100 Menschen weltweit zu sein, die diese Woche die neue BMW R 1300 GS beim internationalen Media Launch im andalusischen Màlaga testen durften hat mich schon ein bisschen mit Stolz erfüllt. Gemeinsam mit den „klassischen“ Kollegen von MOTORRAD oder Online-Vorreitern wie 1000PS und YouTubern wie Valle on Tour oder Asphalt.Art morgens auf dem Hotelparkplatz das Bein über die Sitzbank einer der wichtigsten Neuerscheinungen des Jahres 2023 zu schwingen war schon etwas besonderes.

Die Pressemitteilung und Bilder lagen uns ja schon seit drei Wochen vor, wie bei vielen Bikes ist man dennoch auf den Live-Eindruck gespannt. Bei der Eröffnung der BMW Motorrad Welt in Berlin hatte ich bereits früh die Gelegenheit, die neue GS live zu sehen, anzufassen und aufzusitzen. Und der erste Realitätscheck fiel für mich sehr positiv aus. Schlanker, drahtiger, definierter und moderner kommt das neue BMW-Flagschiff rüber.

Vierzig Jahre GS-Evolution in einem Bild

Die Abkehr vom gewohnten asymmetrischen Scheinwerferdesign erklärte Edgar Heinrich auf der abendlichen Pressekonferenz sehr stringent. Herkömmliche Halogen oder LED-Scheinwerfer haben mehr Bautiefe und brauchen mehr Raum, aber moderne Matrix LEDs geben neuen Gestaltungsspielraum, den BMW hier auch genutzt hat. Ebenso mit dem Blechschalenrahmen und dem Heckrahmen aus Aluminium-Druckguß. Hier entstanden neue Spielflächen für das Fahrzeugdesign, die das Motorrad optisch sehr kompakt machen. Leichter ist sie ja auch geworden und gerade hier kehrt BMW den Gesamttrend zu immer größeren und schwereren Fahrzeugen um. Das schmale Heck wirkt viel leichter als beim Vorgänger, auch wurde der Auspuffendtopf merklich kleiner, was mir richtig gut gefällt.

Vielfältig sind die Ausstattungsoptionen der neuen GS. Fahrwerkoptionen, Fahrmodi, Assistenzsysteme, mit jedem weiteren Feature können weitere individuelle Bedürfnisse befriedigt werden. Macht die Konfiguration der neuen Enduro aber auch komplexer. Bestellungswütige werden sicherlich mehr Zeit im Konfigurator oder im Beratungsgespräch beim Händler verbringen als bisher.

Doch genug der Theorie, ab aufs Mopped und in die praktische Anwendung!

Mit der R 1300 GS Trophy ins Gelände

Als allererstes ging es für uns mit dem GS Trophy Modell auf das Trainingsgelände des Enduro Park Andalusia – einem alten Steinbruch – und auf wunderschöne Pfade ins Hinterland. Schlechter Asphalt ging über in groben und zum Teil tiefen Schotter, der sich mit Sandpassagen abwechselte. Garniert wurde das noch mit engen Haarnadelkurven und steilen Auf- und Abfahrten. Auf teilweise technisch anspruchsvollem Terrain zeigte die neue GS, dass sie nahtlos da anknüpft, wo die Vorgängerin aufgehört hat. Und sie legt eben noch eine Schippe drauf. Der bärige, drehmomentorientierte Motor liefert mit 145 Newtonmetern kontrollierbare Kraft wo immer man sie braucht, die Maschine wirkt aber insgesamt agiler, was nicht nur der Gewichts- sondern auch der Fahrwerksoptimierung zuzuschreiben ist.

Der Metzeler Karoo 4 Reifen sorgt für sehr guten Bodenkontakt und verbunden mit der längeren Hinterradschwinge ist gefühlt Traktion in allen Lebenslagen vorhanden. Eine auch im Stehen sehr gute Fahrerposition verankern den Fahrer gut an der Maschine. Die zum Fahrer hin abfallende Tankrückseite besteht nicht aus lackiertem Kunststoff sondern aus weicherem, griffigeren Material ähnlich des Sitzbankbezuges. So wie bei einer stark nach vorne gezogenen Hard-Enduro-Sitzbank verbessert dies ebenfalls den Kontakt zur Maschine. Ein weiteres, durchdachtes Detail ist der Fußbremshebel, der sich durch einen praktischen Klappmechanismus mit einem Handgriff nach oben verstellen lässt und so in der Stehposition für den Fahrer besser erreichbar ist.

Wem der normale Enduro-Modus nicht ausreicht, kann im aufpreispflichtigen „Enduro Pro“ Modus alle Fahrassistenten detailliert auf seine Bedürfnisse abstimmen. Die in allen Mappings gute Gasannahme kombiniert dieser Modus auf Wunsch mit einer sanfteren Leistungsentfaltung und führt zu noch besserer Kontrolle. Persönlich war ich mit dem normalen Enduro-Modus sehr zufrieden, würde mich aber auch eher als durchschnittlichen Offroadfahrer bezeichnen.

Die R 1300 GS Pure auf der Strasse

Für die Ausfahrten auf der Strasse kam das “Pure” genannte Einstiegsmodell zum Einsatz. Die um 20 mm tiefere Sitzposition im Vergleich zum GS Trophy-Modell machte sich sofort bemerkbar. Man sitzt etwas kompakter und strassenorientierter. Grundsätzlich ist es erstaunlich, welche Bandbreite an Sitzhöhen die neue GS abbilden kann. In Abhängigkeit von der Einstellung des semiaktiven Fahrwerks und der verbauten Sitzbank ist eine Bandbreite von 800 bis 890 mm möglich. Die Absenkautomatik ermöglicht besseres Aufsteigen und Rangieren, ab einer Geschwindigkeit von 50 km/h fährt es automatisch wieder hoch.

Auf einer kurzen Autobahnetappe zeige das neue Radarsystem, was es kann. Die R 1300 GS wird standardmäßig mit DCC (Dynamic Cruise Control) ausgeliefert. Für ACC (Adaptive Cruise Control) fällt ein Aufpreis an. Das ACC-System setzt sich aus drei Komponenten zusammen: der Aktiven Abstandskontrolle (ACC), der Frontkollisionswarnung (Front Collision Warning FCW) und der Spurwechselwarnung (SWW).

Die Abstandskontrolle funktioniert sehr zuverlässig, der Kegel des Frontradars erfasst den Vordermann auch bei versetztem Fahren gut und die Maschine hält den Anschluss, ohne dass der Fahrer eingreifen muss. Sehr komfortabel auf langen Etappen. Der Totwinkel-Assistent zeigt über ein Warnsymbol im jeweiligen Außenspiegel ein Fahrzeug im unmittelbaren Rückraum an. Bei ungünstigen Lichtverhältnissen ist das Symbol aber schlechter zu sehen, das ist bei der Triumph Tiger 1200 beispielsweise besser gelöst.

Die Kupplungshand hat dank Quickshifter während des Fahrens Ruhe. Der Schaltautomat arbeitet besser als beim Vorgängermodell, aber als “butterweich” lassen sich die Schaltvorgänge nicht bezeichnen. Etwas Nachdruck braucht es immer noch beim Tritt auf den Schalthebel, um den nächsten Gang einrasten zu lassen.

Frisch asphaltierte, kurvige Bergstrassen im andalusischen Hinterland boten die perfekte Gelegenheit, die Maschine durch alle Drehzahlbereiche zu treiben. Und auch hier war der Antritt des Boxers eine Macht, spätestens wenn man vom Road- in den Dynamic-Modus wechselt. Druck in allen Lebenslagen und das unabhängig vom eingelegten Gang.

Die bewährte BMW ShiftCam Technologie kommt auch im 1300-Boxer zum Einsatz, im Teillastbetrieb ist die Nockenwelle auf Verbrauchsoptimierung und Laufkultur ausgelegt, während die zweite Nockenwelle im Vollastbetrieb auf optimale Leistung ausgelegt ist, Wie sich das fährt? Sensationell. Andere Reiseenduros mögen mehr Leistung haben, aber von der Fahrbarkeit und der Umsetzbarkeit der Leistung auf der Straße wird die neue 1300er GS schwer zu übertreffen sein.

Etwas dezenter ist die Auspuffnote geworden. Auf der einen Seite ist das sicherlich sozialverträglicher, aber etwas mehr Boxerwummern dürfte schon sein. Hier läßt BMW dem Zubehörmarkt noch etwas Spielraum.

Das Handling auf der Straße ist klar und berechenbar. Der überarbeitete Evo Telelever gibt einem ein gutes Gefühl für das Vorderrad. Auch bei nassforsch angefahrenen, sich zuziehenden Kurven liegt die Boxer-GS bolzenstabil und lässt sich sehr kontrolliert zirkeln.

Bemerkenswerte Details von Enduroschmiederädern bis innenbeleuchteten Koffern

Mit der neuen GS bietet BMW neben den Alu-Gussfelgen und Kreuzspeichenfelgen eine weitere Option an: die Enduroschmiederäder. Gegenüber den Speichenfelgen haben sie einen Gewichtsvorteil von 1,8 kg sind besonders leicht und bieten im Vergleich zu den Serienrädern eine höhere Geländetauglichkeit. Und sie sehen dazu noch verdammt gut aus. Wer seine GS also auf- und manchmal abseits der Strasse fährt, hat hier eine Hybridlösung. Für den gezielten Offroadeinsatz werden wohl die Kreuzspeichenräder mit Aluminium-Felgenringen die Séléction du Jour sein.

Die zahlreichen Connectivity-Funktionen lassen sich über die gewohnten Controller am Lenker auf dem 6,5-Zoll-Vollfarb-TFT-Display abrufen. Wie andere BMW-Modelle auch bietet die GS ein Smartphone-Ladefach vor dem Tankdeckel mit integrierter USB-Steckdose. Eine zusätzliche 12 V Bordspannungssteckdose ist ebenfalls serienmäßig. Ein neuer Schalter findet sich an der linken Lenkerarmatur. Der Multiswitch-Schalter ist individuell belegbar und je nach Bedarf kann man über ihn beispielsweise das elektrische Windschild bedienen oder die Traktionskontrolle. Bei immer umfangreicheren Menüstrukturen macht das durchaus Sinn, hier einen Shortcut zu haben.

Besonders gut gefallen hat mir das Sportcockpit, in dem zentral der Drehzahlmesser abgebildet ist nebst einer Schräglagenanzeige für die Kurvenjäger. Eingerahmt wird die Anzeige von einem Balkendiagramm für die Traktionskontrolle links sowie der Bremsverzögerung rechts.

Für den komfortorientierten Motorradfahrer ist das Koffersystem mit Zentralverriegelung ein Must-Have. Integriert in das Fahrzeugschlüsselsystem funktioniert es auch mit der Keyless-Go-Funktion. Die Größe der Vario-Koffer und des Topcase ist stufenlos über ein Handrad verstellbar. Die Flexibilität des Systems schätze ich schon seit Jahren bei den Koffern meiner F 800 GS. Dort ist es „nur“ zweistufig, nun die komplette Verstellbarkeit zu haben ist next level. Insgesamt bietet das neue Vario-Gepäcksystem ein maximales Fassungsvermögen 97 Litern. Zusätzlich können über einen USB-Ladeanschluss im linken Koffer sowie im Topcase unterwegs elektronische Geräte geladen werden – wäre für meine Drohnen- und Actioncam-Zusatzakkus ein Gamechanger. Und wenn schon Strom in den Koffern anliegt, kann man auch noch eine Innenbeleuchtung integrieren. Wann kommt die integrierte Kühlbox fürs Stiefelbier? Ich würde es begrüßen.

Die weiteren Varianten Triple Black und Option 719

Neben den gefahrenen Trophy- und Pure-Modellen bietet BMW auch bei der neuen GS die beliebte Triple Black-Variante an sowie die edle Option 719 „Tramuntana“, die mit vielen Frästeilen, goldenen Kreuzspeichenfelgen und gold eloxiertem Lenker Exklusivität ausstrahlt wie kaum eine GS vor ihr. Auf den in Aurelius Green metallic lackierten Bauteilen setzen ebenfalls goldene Linierungen Akzente. So wie sie dasteht ist sie fast zu schade zum Fahren.

Testfazit

Die neue BMW R1300 GS ist noch mehr zum Universalmotorrad geworden. Die Vielfalt der Optionen mag einen zunächst überfordern und erfordert vor dem Kauf eine intensivere Auseinandersetzung mit allen Features. Doch sowohl der ambitionierte Offroadfahrer als auch der komfortorientierte Tourer werden hier ihre passende Konfiguration finden. Alle Zielgruppen werden vom neuen 1300er-Boxer und dem neuen Chassis hervorragend bedient werden.

Zum Preis: mit einem Einstiegspreis ab 19.100 Euro ist sie geringfügig teurer als zuletzt die BMW R 1250 GS, bringt aber eine im Vergleich erweiterte Basis-Ausstattung mit. Realistischerweise wird man sich aber im Korridor von 23.000. – 30.000 € bewegen. Selbstbewusst meinten die BMW-Vertreter vor Ort dazu: „Das ist immer noch ein Schnäppchen!“.

Wir werden sehen, wie die Resonanz am Markt ist, aber meiner Einschätzung nach wird sich mit dem neuen Modell die über 40-jährige Erfolgsgeschichte nahtlos fortsetzen.

Das Testvideo

Zurück

TWNSPRK #59 – Caroline Friedt

Nächster Beitrag

Die neue M 1000 XR – ein scharfes Gerät für Lang- und Rundstrecke

  1. Bin selber gespannt, wann ich die Chance bekomme, die R1300 GS zu fahren.
    Bisher hört man von allen, die das Motorrad schon fahren durften, nur Gutes.

    • Hier in Deutschland steht sie schon bei den meisteb BMW-Händlern und es können auch Probefahrten gemacht werden, wie ich das so gesehen habe.

  2. Hey Alex,
    herzlichen Dank für diesen Klasse Test-Text! Auch wenn die GS so gar nicht mein Typ Motorrad ist, interessiert mich die Neue.

    Weil: ich bin in diesem Sommer die 1250er unter anderem am Manghen gefahren, und vor allem der Motor hat mich .. nun ja .. wie soll ich sagen .. der Wums von unten, das ist einfach geil. Mit der höchsten Sitzbank und der niedrigsten Cockpit-Scheibe würd ich damit bis nach Berlin fahren, ganz sicher.

    Kompliment übrigens für die Einladung zum Test – well deserved!

    Ride on!

    • Danke für Dein tolles Feedback, Jürgen!

    • Oha, da zieht es noch jemanden auf die Boxer-Seite.

      Der Motor ist wirklich ein Erlebnis das man selbst einmal erfahren muss. Muss ja auch nicht direkt eine GS sein.

      • Ich war in der Tat fasziniert – bin von der Zero DSR/X auf die GS geklettert und hab mich gleich in die Kehren des Manghen gestürzt. Nicht ohne Respekt – aber nach den ersten zwei Serpentinen war ich beruhigt. Auch wenn die Zero objektiv viel mehr Drehmoment ins Hinterrad schickte – dieses sonore Grummeln und der Schub aus niedrigsten Drehzahlen: Klasse. Ich glaube, ich hab nie über 3000 U/min gedreht, weil mir das so gefiel.
        Ich wäre Kandidat für eine R9T. Immer schon 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Die DSGVO-Checkbox ist ein Pflichtfeld

*

Ich bin einverstanden

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén