Seit Februar diesen Jahres erweitert der NIU MQi GT unseren Zweirad-Fuhrpark. In den zehn Monaten haben meine Frau und ich über 1.200 Kilometer mit dem Elektro-Roller kreuz und quer durch Berlin zurück gelegt. Bevor wir aber zu einem ausführlichen Zwischenfazit kommen, geniessen wir erstmal ein paar schöne Bilder, die an einem klirrekalten Dezembermorgen entstanden auf dem Weg zur Arbeit (die Location wusste auch schon BMW Motorrad zu schätzen für die Pressebilder zum CE 04).
Fahreindrücke
Mit einem 3kW Bosch Motor an der Hinterachse bewegt der NIU sein Eigengewicht von 115 kg und das der Passagiere. Damit bring er fast exakt das Gewicht der Vespa ET2 (vollgetankt) meiner Frau auf die Waage.
Der Roller verfügt über drei Fahrmodi Eco, Dynamic und Sport. Im Eco-Modus ist bei 25 km/h Schluss, Dynamic drosselt auf 55 km/h und im Sport-Modus erreicht der NIU die 70 km/h Endgeschwindigkeit.
Im direkten Sprintduell zieht die Zweitakt ET2 dem NIU auf den ersten Metern davon. Zur Ehrenrettung des NIU muss man aber auch festhalten, dass die ET2 ein gut eingefahrenes, älteres Modell ist, was noch 55 km/h fahren darf, laut Tacho sind es gerne mal 70 km/h. Auch wenn der NIU nach ein paar Metern auf- und überholt, zeigt dies eine der Schwächen des Elektrorollers auf. Der Antritt aus dem Stand ist nicht seine Paradedisziplin.
Dieser Umstand führt auch dazu, dass ich den NIU nur im Sport-Modus fahre. So lässt sich im Stadtverkehr gut mitschwimmen und mal wuselt sich leise durch die Rush Hour. Strom sparen muss ich auf den kurzen Distanzen in der Stadt nicht, mit der Reichweite von 70-80 km komme ich gut durch die Woche. Lustigerweise rechne ich nicht mehr in Kilometern, sondern in Prozent Akkuleistung. So entsprechen 10% Leistung rund 8 Kilometern, ins Büro sind es je nach Route 9-10 Kilometer. Mit 25% komme ich also einmal hin und zurück. Im Winter verliert der Akku etwas schneller an Kapazität, da sollte man auf einen kleinen Puffer von 2-3% Akkuleistung mit einkalkulieren.
Wenn dann doch mal der Saft zur Neige geht, sind die zwei Akkus unter der Sitzbank schnell abgestöpselt und dürfen dann im Keller wieder Strom tanken. In maximal 3-4 Stunden sind 100% Akkuleistung wiederhergestellt. Die herausnehmbaren Akkus waren für uns einer der Kaufgründe, da wir in der Großgarage am Stellplatz keinen Stromanschluss haben. Mit je 11kg sind die Akkus zwar kein Leichtgewicht, aber dank gut dimensionierter Griffe gut zu tragen. Das Ladegerät passt auch unter die Sitzbank, man kann also auch im Büro laden, wenn nötig. Da der Lüfter des Ladegerätes relativ laut ist, sollte man das aber in einem separaten Raum machen und nicht neben dem Schreibtisch.
Die Kapazität der Akkus wird prominent im LCD Display des Rollers angezeigt nebst anderen, wichtigen Fahrinformationen.
Das Startprocedere ist relativ einfach: Roller über die Fernbedienung starten (Schlüssel ist eigentlich nur für das Lenkradschloss notwendig), Bremshebel ziehen, grünen Startknopf drücken, das grüne “Ready”-Symbol im Cockpit leuchtet auf und dann kann es schon losgehen. Nach dem Einschalten ist der Roller per default im Dynamic-Mode, wie oben beschrieben wechsle ich gleich in den Sport-Modus.
Die Schalter links und rechts geben einem keine Rätsel auf, wenn man einmal in die Anleitung gespickt hat. Der NIU verfügt sogar über einen Tempomaten, falls man in der 30er Zone besonders gesetzeskonform unterwegs sein möchte. Genutzt habe ich den aber bislang noch nie.
Stärken
Leise und unaufgeregt kommt man mit dem NIU durch den Stadtverkehr. Die Reichweite finde ich vollkommen ausreichend und für unsere Einsatzzwecke praxisgerecht. Vor allem das lautlose dahingleiten geniesse ich sehr. Wenn ich nach längerer Zeit dann wieder mal auf meine Vespa 300 GTS umsteige, bin ich immer erst überrascht, was für einen Lärm die im Vergleich macht. Und die ist komplett im Serientrimm ohne Sportauspuff oder ähnliches.
Von der Handhabung gibt er einem keine Rätsel auf, das Handling der Akkus ist völlig problemlos und die Ladezeiten selbst bei komplett leergelutschter Batterie absolut im Rahmen. Man muss nur etwas vorausschauender agieren bei sinkendem Akkustand und rechtzeitig ans Laden denken. Dank der NIU App, die mit dem Fahrzeug konnektiert ist, kann man den Ladezustand auch vom heimischen Sofa aus checken, um nicht böse überrascht zu werden.
Die App warnt einen auch bei Erschütterungen des Fahrzeugs, parallel piept und blinkt der Roller auch, wenn sich jemand an ihm zu schaffen macht. Das tut sie übrigens auch, wenn der Roller in der Werkstatt steht. Da sollte man das Feature vorher deaktivieren.
Schwächen
Ein paar Ding gibt es dennoch zu bemängeln, alle voran die ab Werk montierte Serienbereifung. Das Gummi rollte super hölzern ab, der Federungskomfort war entsetzlich. Das Nassfahrverhalten war auch für den Allerwertesten, bei feuchter Strasse kam es schnell ins Rutschen.
Daher liessen wir nach einem halben Jahr die billigen Chinagummis gegen Michelin City Grip 2 tauschen. Und es war ein himmelweiter Unterschied, eine solch krasse Veränderung hatte ich noch nie bei einem Reifentausch erlebt. Plötzlich war der Federungskomfort da und auch bei widrigem Wetter war das Vertrauen in die Bodenhaftung wiederhergestellt.
Sitzbank
Das zweite, größere Manko ist die Sitzbank. Zwei Punkte stören mich daran. Zum einen baut sie sehr breit, so dass man sehr mit gespreizten Beinen auf dem Bock sitzt. Auf meiner Vespa verjüngt sich die Sitzbank nach vorne, so dass man hier eine entspanntere Sitzposition ergibt. Schaut man bei dem NIU unter die Sitzbank, so sieht man den Grund für das breitere Design: die Akkus brauchen den Platz, dem musste man wohl Tribut zollen.
Die Sitzbank ist zum anderen mit einem sehr rutschigen Kunstleder bezogen, es schiebt einen im Fahrbetrieb dadurch immer mehr nach vorne bis die Knie das Beinschild von innen berühren. Hier werden wir wohl in absehbarer Zeit durch einen anderen Bezug Abhilfe schaffen.
Rückblick
Ein drittes, kleineres Manko ergibt sich aus den eher für asiatische Menschen konzipierte Rückspiegel. Sie schliessen bündig mit den Lenkerenden ab, aber da auch dieser sehr schmal baut sehe ich zumindest nach hinten fast bei jeder Spiegeleinstellung meine Schulter. Umso wichtiger ist dann halt der Schulterblick beim Spurwechsel.
Welcome to the Ausbaustufe
Für alle die jetzt der Meinung sind, dass das zwar alles ganz nett ist mit dem NIU, aber ein bisschen mehr Wumms ja schon ganz nice wäre, für die hat NIU auf der diesjährigen EICMA mit dem NIU MQi GT EVO das neue Spitzenmodell der Baureihe vorgestellt und die Eckdaten sind nicht von schlechten Eltern:
- 100 km/h Höchstgeschwindigkeit
- Bis zu 75 km Reichweite pro Ladung
- Zwei herausnehmbare 72V-Batterien mit je 26Ah Kapazität
- 6500W maximale Leistung
Allerdings ist der Startpreis von 4.999€ auch deutlich von dem des GT entfernt und liegt sogar noch über einem leistungsmässig vergleichbaren Horwin EK3. Wir hatten im Februar noch den rabattierten Einstiegspreis von 2.999€ gezahlt, regulär lag er damals bei 3.499€, aktuell liegt er bei 3.799€. Wem die 70 km/h des GT nicht reichen, kann also für den Aufpreis von 1.200€ elektrischen Vortrieb bis 100 km/h geniessen.
Fazit
Die Gattin und ich sind uns einig: mit dem NIU bekommt man im Elektrorollersegment wirklich was geboten. Bis auf die oben genannten Schwächen ist das Fahrzeug zuverlässig und macht wirklich Spaß. Die Verarbeitungsqualität ist gut, in einem Jahr hatten wir keine Ausfälle oder Einschränkungen.
Wer wie beim Benzinroller mehr Stauraum braucht, der findet ein Angebot an diversen Topcases, von NIU selber oder von den sonstigen üblichen Verdächtigen.
Und wer mehr Leistung möchte, kann zum EVO-Modell greifen. Ich frage mal beim Rollerhändler meines Vertrauens nach, wann und ob er davon einen Vorführer bekommt und berichte dann weiter.
Max
Danke für den weiteren Einblick.
Ich finde das Gerät weiterhin interessant, wobei ich das für mich überwiegend zum Garagenpendeln nutzen würde, weil das mit Moppedklamotten, Stiefeln und Helm im Bus oder auf dem Fahrrad (ohne Cargo) manchmal etwas hinderlich ist. 😉