Wieviel Motorrad braucht man, um auf Tour Spaß zu haben? Mein Studenten-Ich war ja schon glücklich, wenn es mit einer Vespa V50N den Bodensee umrundete. Zwanzig Jahre später bin ich – nach eigenem Dafürhalten – immer noch relativ bescheiden, was die Leistung meiner Zweiräder angeht und decke das Spektrum zwischen 22 und 75 106 PS ab. Man mag unken, ich führe ja meistens nur durch Brandenburg, wieviel mehr Leistung braucht man da? Aber was, wenn man eine Alpentour fährt? Genau das wollten wir herausfinden.
BMW Motorrad war so freundlich, uns hierfür das kleinste und das größte Bike aus ihrem Adventure-Bike-Sortiment zur Verfügung zu stellen: die G310 GS mit 34 Einzylinder-PS sowie die S1000 XR mit 165 PS aus einem Vierzylinder.
Die Eckdaten
Als beide Bikes nebeneinander stehen, wirkt die GS aufgrund ihres 19 Zoll-Vorderrades auf den ersten Blick ausgewachsener. Beim näheren Hinsehen läßt die breite Brust der XR schnell ersehen, welches das potentere und auch schwerere Bike ist. Nicht nur trennen beide Motorräder 131 PS, die XR wiegt auch 58 Kilogramm mehr. Was angesichts des Leistungsplus auf dem Papier auch Wurscht ist. Aber fühlt sich das während des Fahrens auch so an? Wir werden sehen. Bei der Sitzhöhe sind sie nahezu identisch, jedoch ist der Kniewinkel bei der XR entspannter, weil sie weniger Bodenfreiheit hat und daher die Fußrasten tiefer liegen. In Tankvolumen und Reichweite ist die XR klar im Vorteil, ihr breit bauendes Spritfaß transportiert nahezu die doppelte Menge als das der GS.
Wohin mit dem Gepäck
Vor der Tour ist natürlich erstmal das Packen angesagt. Die XR stand mit Seitenkoffern und Topcase vor uns mit einem kombinierten Fassungsvermögen von 93 Litern (31l Topcase plus 2x 31l Seitenkoffer). Die Seitenkoffer verfügten über Innentaschen, die mit elastischen Bändern fixiert wurden. hier hätte ich locker mein Gepäck für die Tourtage untergebracht, die Technik hätte ihren Platz im Topcase gefunden. Wir entschlossen uns aber, das Topcase in München zu lassen, dafür kam meine Rolltasche auf den Heckträger. An- und Abbau der Koffer geht sehr einfach, aufschließen, entriegeln, abnehmen.
Im Falle der GS mussten wir uns noch soviel Gedanken machen. Der breite Heckträger bot genug Platz für Sandras Rucksack. Draufschnallen, fertig. Ich hatte zusätzlich noch meinen SW Motech Enduro Evo Tankrucksack dabei, der schnell auf der GS montiert und auch hier sehr gut passte.
Auf der Autobahn
Die Autobahnetappe am ersten Tag der Tour fuhr ich auf der XR, die am letzten Tag auf der GS. Mit beiden Motorrädern kommt man gut von A nach B, aber auf der XR ist es deutlich komfortabler. Das Windschild bietet mehr Schutz, der Tempomat entlastet die Gashand auf langen Etappen und dank Quickshifter haben auch die Kupplungshand Pause. Überholmanöver sind blitzartig erledigt. So schnell, daß man immer einen Blick in den Rückspiegel werfen sollte, ob alle Mitfahrer noch da sind.
Die GS macht das auch alles sehr ordentlich, wenn auch etwas zurückhaltender als die XR. Sitzkomfort und Ergonomie passen auch, man hat halt weniger Helferlein und Knöpfchen, muss vorausschauender beschleunigen und bremsen. Hochgeschwindigkeitsetappen auf der Autobahn sind halt nicht ihr Ding, dazu fehlt es an Hochgeschwindigkeit.
Landstrassen- und Pässetauglichkeit
Auf Landstrassen und im Winkelwerk der Alpenpässe hielt die GS erstaunlich gut mit, sobald man sich daran gewöhnt hat, die Drehzahl nicht unter 7.500 Umdrehungen fallen zu lassen. Wie eine wildgewordene Hummel dröhnte sie den großen Bikes hinterher, fast ohne abreissen lassen zu müssen. Gerne erinnere ich mich an den dritten Tourtag an die Passage zwischen Hermagor und Greifenburg am Weißensee vorbei. War das ein Spaß. Die kleine Maschine hat hier wirklich Herz bewiesen, also wenn man fehlende PS durch ein bißchen Wahnsinn ersetzt. Richtig dünn wird es für die GS dann aber bei starken Steigungen wie den Anstieg zum Wurzenpaß oder zur Turracher Höhe. Hier war über die Drehzahl auch nichts mehr zu reißen.
Bei den Bergabpassagen war die GS dann aber wieder vorne dabei. Ausreichend dimensionierte Bremsen und wenig einzufangendes Gewicht sorgten wiederum dafür, daß man auf der Bremse vor der Kurve die anderen Mitfahrer ärgern konnte. Vor allem wenn man auf schmalen Pfaden unterwegs war wie beispielsweise dem Paulitschsattel.
Die Sternstunde auf der XR in Sachen Pässetauglichkeit wiederum kam kurz nach dem Paulitschsattel. Die Auffahrt zum Seebergsattel mit engen, aber gut ausgebauten Kehren und griffigem Asphalt waren ein Eldorado für die XR. Die knapp 230 kg fahrfertiges Gewicht der XR merkte man ihr nur beim Rangieren an. Sobald sie rollte, war Alarm angesagt. Sahnige und druckvolle Kraftentfaltung des Motors, kraftvolles Bremsen vor und leichtfüßiges Abwinkeln in den Kurven waren ein absolutes Gedicht. Was für eine geile Fahrmaschine. Wenn man den Auslaufplatz für sie hat. Auf den schmaleren Pässen wie beispielsweise den verwinkelteren Passagen der Auffahrt zum Mangart muss man Vorsicht walten lassen. Wenn man nicht aufpasst, zieht der Vierzylinder schneller an als Passtrasse übrig ist.
Was tun, wenn ein Schneefeld den Weg versperrt?
Hierauf gibt es eine einfache Antwort: XR stehen lassen, GS absatteln und ab durchs Gelände.
Wie schon im Tourbericht von Tag 2 geschildert fehlen der kleinen GS für ernsthafte Offroadausflüge die passende Bereifung und etwas mehr Drehmoment bzw. Schwungmasse. Aber wo ein Wille, da ein Weg. Die 170kg der kleinen Maschine sind auch bei Manövern im gröberen Gehölz gut zu halten. Und über die diversen Ansätze, die kleine GS zu einem ernsthaften Offroader umzurüsten, werde ich an anderer Stelle separat berichten.
Die Fahrspaßwertung
Welche Maschine macht denn nun mehr Spaß auf Tour? Ganz salomonisch muss ich da antworten: beide!
Die S1000 XR ist ein sensationell komplettes Motorrad. Fahrbarkeit, Leistung, Tourenkomfort, sie hat einfach alles. In meinen Augen ist sie im Adventure-Segment nicht wirklich richtig platziert Für mich ist sie der perfekte Sporttourer. Lange Strecken kann man mit ihr entspannt zurücklegen und wenn es drauf ankommt, bist Du mit ihr beim Kurven angasen ganz weit vorne.
Bei der G310 GS darf man nicht zurückhaltend sein was die Drehzahl angeht. So lange es dann nicht steil bergauf geht, liefert sie sauber ab und garantiert gute Laune. Ihre Tourtauglichkeit hat sie auf jeden Fall bewiesen. Das einzig wirkliche Manko? Sie hat keine Überholreserven. In der Ebene geht es noch einigermassen, am Berg ist es nahezu nicht möglich, ungefährdet langsamere Verkehrsteilnehmer zu überholen, wenn nicht gerade lange Geraden und genügend Auslauf vorhanden sind. Daher habe ich einen Wunsch an BMW: baut in dieses Motorrad ein A2-taugliches 500 Kubik-Aggregat mit 48 PS ein und ihr habt eine sensationelle, kleine Spaßmaschine. Für die „Emerging Markets“ für die die G310 GS ursprünglich gedacht war, ist das wahrscheinlich zu viel Leistung. Aber wir in Europa würden uns sehr drüber freuen.
Vielen Dank an BMW Motorrad für die Leihstellung beider Motorräder. Die Berichte über unsere Slowenien-Tour findet ihr hier im Blog.