Wenn man als Junge in der Nähe von Stuttgart aufwächst ist man es irgendwann gewohnt, daß einem auf der A8 oder auf den umliegenden Landstrassen Erlkönige oder Erprobungswagen von Mercedes-Benz und Porsche um die Ohren fahren. Verloren haben diese Begegnungen allerdings ihre Faszination nie. Fanden Sie doch meistens zu den Zeitpunkten statt, in der in der Fachpresse über das Erscheinungsbild des jeweiligen neuen Modells gemunkelt wurde und die Automobilzeichner – wir hatten damals ja kein Photoshop – bemüht waren, die finale Karosserielinie möglichst genau zu treffen. Und statt einem Bild in der AMS hatte ich dann schon das Auto in freier Wildbahn gesehen. In den unterschiedlichsten Tarnzuständen.
Dieses Jahr begeht der Porsche 911 sein 50. Jubiläum. Ob man ihn nun mag oder nicht – seinen automobilen Ikonenstatus kann man ihm schlecht absprechen. Bei all der aktuellen Berichterstattung rund um dieses Jubiläum musste ich wieder an meine beiden persönlichen Porsche-Highlights denken, die mich sehr einprägsam mit Längs- und Querbeschleunigung konfrontiert haben.
Mein Heimatstädtchen ist unter anderem für die ortsansässige Segelflugzeugfabrik bekannt, die damals gerade ein neues Modell präsentierten. Auf dem Rückweg von der Musikprobe radelte ich dort vorbei, um meine Eltern zu treffen und mir den neuen Segelflieger anzuschauen. Letzterer wurde schlagartig unwichtig, als ich beim Eintreffen vor Ort auf dem Gelände einen Porsche 959 parken sah. Es war im Jahr 1986 und Porsche hatte gerade begonnen, den 959 als schnellstes Serienfahrzeug der Welt mit einer Straßenzulassung auszuliefern. Und ich war noch lange zwei Jahre von meinem Führerschein entfernt.
So stand ich also mit Schnappatmung vor dem 959 und war aufgeregt wie ein Kleinkind an Weihnachten. Unweit entfernt standen meine Eltern mit einigen Personen zusammen. Ich lief rüber zu Ihnen und plapperte völlig aufgeregt alle technischen Details dieses Überautos heraus „Registeraufladung und elektronisch gesteuerter variabler Allradantrieb, Reifendrucksensoren, 450 PS aus einem 2,85l-Sechszylindermotor…“, sehr zum Amusement eines älteren Herren, der neben meinem Vater stand. Und der mich dann fragte: „Ja, das ist meiner. Magst Du Dich mal reinsetzen?“ um mir die Schlüssel zum Wagen zu geben. Dieser nette Herr war Helmuth Bott, damals Chefentwickler bei Porsche und Vater des 959 (und gebürtig aus eben meinem Heimatstädtchen).
Völlig fertig mit den Nerven nahm ich in diesem Supertrumpf aller damaligen Autoquartetts (ok, neben dem Ferrari F40) Platz. Herr Bott gesellte sich kurz danach zu mir und erklärte mir alles rund um das Fahrzeug und ich hörte ihm gebannt zu. Bis er mich fragte: „Wollen wir mal ne Runde drehen?“ Ich konnte nur noch stumpf mit dem Kopf nicken. Ein paar Minuten später fuhren wir auf die A8 Richtung Aichelberg und es konnte natürlich nicht anders kommen, daß zu dem Zeitpunkt ein 911 Turbo auf der mittleren Fahrspur seeeehr zügig entlangschnürte. Herr Bott meinte nur kurz „Komm, den ärgern wir ein bisschen!“ und ein paar Sekunden stand die 250 km/h auf dem Tacho und der Turbo war nur noch im Rückspiegel zu sehen. Kurz vor dem Tempolimit am Aichelberg wurde ich das erste und einzige Mal in meinem Leben mit über 300 km/h chauffiert und kam unmittelbar danach in den Genuß der Negativbeschleunigung der innenblüfteten Stahlscheibenbremsen. Als ob nichts gewesen war nahmen wir die Autobahnabfahrt am Aichelberg um den Rückweg anzutreten. Wieder zurück stand mir das Adrenalin bis in die Haarspitzen und Herr Bott hatte ein bübisch-schalkhaftes Grinsen im Gesicht.
Zeitsprung 2,5 Jahre nach vorne. Wie genau das zustande kam weiß ich nicht mehr, aber wir hatten die Möglichkeit, eine Werksführung von Herrn Bott im Entwicklungszentrum von Porsche in Weissach zu bekommen. Zufälligerweise befindet sich neben dem Entwicklungszentrum die Erprobungsstrecke, zu der wir nach der Werksbesichtigung geführt wurden. Auf dem Parkplatz der Strecke standen ein 911 Turbo, ein 911 Carrera, ein 928 S4 und eben der 959 von Herrn Bott. Auf die Frage, wer denn zuerst von unserer Gruppe einen der Wagen Probe fahren wollte, traute sich keiner so richtig die Hand zu heben. Also meinte Bott zu mir „Komm, dann fahren wir zuerst. Wir nehmen meinen Wagen!“. Also saß ich, der gerade mal 8 Monate seinen Führerschein hatte, am Steuer eines Wagens mit damaligem Listenpreis von 420.000 DM. Bott sah wohl auch die leichte Panik in meinen Augen und meinte beruhigend zu mir: „Keine Sorge, ich sage Dir genau was Du zu machen hast. Wie beim Rallye fahren.“ So hieß er mich den ersten Gang einlegen und den Motor auf eine Anfahrdrehzahl von 7.000 U/min zu bringen um dann einzukuppeln. Trotz Allradantrieb malten wir vier schwarze Striche auf den Asphalt, für mich war das wie ein Raketenstart. Zum Vergleich: angereist nach Weissach waren wir im Passat Variant Diesel meiner Eltern mit der sagenhaften Leistung von 54 PS. So waren die ersten Runden für mich eine echte Grenzerfahrung aka Ritt auf der Kanonenkugel. Für Herrn Bott eher eine sonntägliche Spazierfahrt, auf der er mir tiefentspannt Gänge, Drehzahl und Einlenkpunkte diktierte.
Nach den „Aufwärmrunden“ hatte ich etwas mehr Selbstvertrauen und fuhr als zweiten Wagen den 928 S4, 130 PS weniger, 200kg mehr Gewicht und Hinterradantrieb und Viergangautomatik statt Schaltung. Innerlich immer noch auf die Querbeschleunigungswerte des 959 getrimmt, war es etwas überraschend, als der 928 dann in der langen Zielkurve links mit dem Heck überholen wollte. Der Testfahrer auf dem Beifahrersitz half mir dann etwas, den Wagen wieder einzufangen, aber mein Puls hing definitiv im roten Bereich des Drehzahlmessers.
Und der meines Vaters auch, der aus geringer Distanz beobachtete, wie ich fast den Wagen im Gegenwert einer Eigentumswohnung aus der Bahn warf.