Manchmal reicht ein kurzer Moment auf der Messe, um zu verstehen, worum es wirklich geht. Bei mir war es dieser eine Satz von Ola Stenegärd, dem Designchef von Indian Motorcycle. Wir trafen uns zufällig am nächsten Tag nach der Präsentation seines eigenen Concept Girder – ausgerechnet vor der neuen CFMoto V4 SR-RR. Er sah das Bike an, lächelte und sagte: „Das ist der Star der Messe.“
Ein Satz, der viel über ihn sagt – und über die beiden Maschinen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Die eine steht für das technische Selbstbewusstsein eines chinesischen Herstellers, die andere für die gestalterische Klarheit einer amerikanischen Ikone. Und doch verbindet sie etwas: Beide zeigen, wie präzise Ingenieurskunst und Designidee zusammenwirken können, wenn Menschen Maschinen nicht nur bauen, sondern ernst nehmen.
CFMoto V4 SR-RR – das neue Selbstbewusstsein
Wer vor der SR-RR steht, sieht kein Experiment, sondern eine Ansage. Der chinesische Hersteller, lange als Lizenzfertiger abgestempelt, präsentiert hier ein Motorrad, das auf Augenhöhe mit den großen europäischen Superbikes fährt – und das nicht nur auf dem Papier.


Der neu entwickelte V4-Motor mit 997 Kubikzentimetern leistet über 210 PS. Das Fahrfertiggewicht bleibt unter 200 Kilo. Aktive Aerodynamik-Elemente verändern ihre Stellung bei Tempo, das semiaktive Fahrwerk reagiert in Millisekunden, die Abgasanlage aus Titan spart Gramm, nicht Charakter. Alles an dieser Maschine ist präzise, ehrgeizig und konsequent umgesetzt.
CFMoto will beweisen, dass Hightech kein Herkunftsprivileg ist. Der Motor, intern „V.04 Core of Speed“ genannt, ist eine Eigenentwicklung – kein Zukauf, kein Joint Venture. Entwickelt wurde er mit europäischen Partnern, aber unter chinesischer Regie. Das Motorrad zielt klar auf Ducati Panigale V4 und Aprilia RSV4, will sie nicht imitieren, sondern unterbieten – beim Preis und vielleicht bald auch auf der Rennstrecke.
Wer genau hinsieht, erkennt: Hier beginnt ein Umbruch. CFMoto zeigt, dass technischer Fortschritt längst global geworden ist – und dass Ehrgeiz manchmal der schärfste Wettbewerber ist.
Indian Concept Girder – Maschinenbau mit Seele
Ein paar Hallen weiter steht das Gegenstück dazu. Kein Windkanal, keine Winglets, kein Kohlefaser-Showeffekt – sondern Metall, Leder und Handwerk. Die Indian Concept Girder ist gebaut wie ein Statement gegen die Austauschbarkeit moderner Motorräder.


Die Basis ist eine Chief mit dem großen Thunderstroke-116-V2. Darüber spannt sich eine neu entworfene Girder-Gabel aus Billet-Aluminium – nicht als Zitat, sondern als funktionsfähiges Bauteil. Jede Linie folgt einer technischen Logik, jedes Detail einer klaren Idee: die Schönheit der Mechanik sichtbar machen.
Stenegärds Team hat sie nicht als Showbike entworfen, sondern als real fahrbares Konzept. Der Dämpfer ist funktional, die Gabel so konstruiert, dass sie theoretisch gegossen werden könnte. Dazu ein neu geformtes Heckteil, gefräste Seitendeckel, Flanders-Lenker und ein Sitz aus der Werkstatt von Silver Machine.

Die Lackierung trägt Burt Munros Startnummer 35 – ein direkter Verweis auf den legendären Salzsee-Rennfahrer, dessen Rekorde bis heute gelten. Damit schließt sich der Kreis: von der Vergangenheit über die Gegenwart hin zu einer neuen Form von Authentizität.
Stenegärd beschreibt es schlicht: „Wir wollten, dass sie echt ist.“ Und genau das ist der Punkt. Hier wird nichts inszeniert. Das Motorrad ist so ehrlich, wie Metall, Leder und Öl es zulassen.
Zwei Maschinen, ein gemeinsamer Anspruch
Die CFMoto SR-RR und die Indian Girder stehen für zwei sehr unterschiedliche Wege, Motorradbau neu zu denken. CFMoto demonstriert technische Reife, Geschwindigkeit und Systemkompetenz – den Mut, in die Königsklasse zu steigen. Indian zeigt handwerkliche Präzision, Liebe zum Detail und das Vertrauen in die eigene Geschichte. Zusammen erzählen sie, warum Motorräder mehr sind als Produkte: Sie sind Ingenieurskunst, übersetzt in Emotion.





