Der dritte Fahrtag hatte zwei Routenvarianten. Eine für die Straßen- und eine für die Stollenfraktion. Die Stollenfraktion bestand aus Simon und mir – und weil unsere Route ein paar Kilometer mehr und ein bisschen Schotter enthielt, starteten wir früh in Venzone und fuhren im Tal nordwärts bis Sutrio.

Hier teilten sich die Wege. Die Straßenfraktion bog auf die klassische Auffahrt zum Monte Zoncolan ab – ein Mythos unter Rennradfahrern und fester Bestandteil des Giro d’Italia. Die Westauffahrt ab Ovaro gilt als eine der härtesten Passstraßen Europas mit Steigungen bis zu 22 %. Die Ostseite ab Sutrio, die unsere Gruppe wählte, ist „nur“ extrem steil – mit rund 10 % im Schnitt, auf 13,5 Kilometern, durch dichten Wald und mit engen Kehren. Wer hier oben ankommt, weiß, was er getan hat.



Wir hingegen fuhren einige Kilometer weiter nördlich. In Cercivento zweigt die Strecke eigentlich auf den Monte Zoufplan ab, doch ich hatte die Route am Vorabend noch mal überarbeitet: Die knapp 25 Kilometer rauf und runter hätten uns locker 90 Minuten gekostet – das wäre angesichts des so schon langen Tourtages sportlich geworden.
Und es sollte die richtige Entscheidung gewesen sein. Also ging es für uns ein kleines Stück weiter bis kurz vor Ravascletto, wo in einer Spitzkehre der Abzweig auf die Panoramica delle Vette ausgeschildert war. Auf einem schmalen, sehr brüchigen Asphaltband schraubten wir uns den Berg hoch, dessen Gipfel noch im Nebel hing. In den unteren Kehren offenbarten sich aber schon spektakuläre Aussichten auf den Bergrücken des Monte Zoncolan auf der anderen Talseite. Jenseits der Baumgrenze bewegten wir uns dann durch Nebelschwaden, die immer wieder von Sonnenstrahlen durchbrochen wurden.





Die freilaufenden Kühe liessen sich durch unsere Vorbeifahrt nicht irritieren. Dann wechselte der Strassenbelag auf Schotter und wir folgten der Panoramica delle Vette auf rund 2.000 Metern Höhe um den Monte Crostis herum. Langsam riss der Nebel wieder auf es boten sich uns wunderschöne Panoramen. Die Strada delle Vette führte uns wieder auf Asphalt in kleinen Serpentinen den Berg hinunter bis Tualis.
Unsere Zeitplanung ging auf: In Comeglians trafen wir wieder auf die Straßenfraktion – die Zoncolan-Fahrer strahlten, also muss der Pass was hergemacht haben. Beim nächsten Mal fahr ich ihn auch.
Ab Comeglians ging es gemeinsam weiter. Eigentlich wäre als Nächstes die Forcella Lavardet dran gewesen, eine schmale und spektakuläre Verbindungsstraße mit fast 15 engen Kehren – leider war sie unpassierbar. Also nahmen wir die gut ausgebaute Sella Ciampigotto, ein eher unbekannter, aber landschaftlich schöner Pass auf 1.793 m Höhe, der uns durch das ruhige Val Pesarina führte.
Auf der Passhöhe des Sella di Razzo mussten wir abermals anhalten, um die wunderschöne Kulisse um uns herum in uns aufzusaugen.




Mittagsrast gab’s an der Bar am Lago di Misurina, mit Blick auf die Drei Zinnen. Eigentlich wollten wir zur Mautstraße hoch – aber 28 Euro, nur per Onlinebuchung und ausgebuchte Zeitslots? Danke, nein. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren waren’s noch 10 Euro.

Also weiter Richtung Cortina d’Ampezzo über den Passo Tre Croci (1.805 m), der mit gutem Belag und schöner Linienführung glänzte. Vor zehn Jahren existierten hier noch mehrere Baustellen, eine davon für die mittlerweile fertiggestellte Brücke Ponte sul torrente Rudavoi, die in einem schönen Bogen den Fluss überspannt.

In Cortina erwischte uns eine Regenzelle. Zehn Minuten Platzregen – und dann war der Spuk vorbei. Glück gehabt.
Dann kam mein persönliches Highlight: der Passo di Giau. 2.236 Meter hoch, weite Kurven, bestes Tempo – und oben eine Aussicht, die einem die Sprache verschlägt. Die Auffahrt ist wie gemalt für das, was die R12 gut kann: sattes Drehmoment, stabil in Schräglage, und du hast immer das Gefühl, sie gehört genau hierher. Das Panorama oben? Unbeschreiblich. Ich hatte Jürgen Theiners „Passportait“ im Ohr: „Das wohl beeindruckendste Panorama-Erlebnis in der Umgebung bleibt oben, auf der Passhöhe des Passo di Giau.“ Genau so. Punkt.



Doch auch danach war noch nicht Schluss. Es folgten der Passo Falzarego (2.105 m) – geschichtsträchtig, mit Blick auf die Dolomitenkriegsstellungen rund um den Lagazuoi – und direkt im Anschluss der Valparolapass (2.168 m). Der Ausblick von dort ins Val Badia im nachmittäglichen Licht war ein würdiger Abschluss.



Nach einem kurzen Tankstopp in Stern (La Villa) nahmen wir die letzten Kilometer im Tal bis St. Martin in Thurn, bevor wir uns noch das Würzjoch hochzwirbelten. Die Passstraße (SS244) ist kurvenreich, schmal, aber landschaftlich ein Traum – und der letzte Kraftakt des Tages.


Den letzten Sticker des Tages bekam das Passschild am Würzjoch (2.006 m), und ein paar Kilometer später rollten wir erschöpft, aber glücklich zur Halslhütte, unserem Ziel für die Nacht.
Für die 275 Kilometer sassen wir 6:45h im Sattel, die gefahrene Route (inkl. GPX-Download) findest Du hier.
Jürgen
Vielen herzlichen Dank, Alex, für das Erwähnen meines Giau-Passportraits in Deinem Post. Der Pass ist echt ein Wunder.
Ich bin so frei – heute erscheint das Portrait des Würzjochs in der MOTORRAD, und an dem für den Falzarego schreib ich aktuell 😉
Liebe Grüsse!!
Alexander
Hui, dann bin ich mal schnell los, die neue MOTORRAD zu kaufen! Bin gespannt!
Jürgen
Lass mich dann gerne wissen, ob Du diesen schmalen, aber höchst interessanten Pfad auch so erlebt hast wie ich 😉