Can-Am? Das waren doch die mit den Dreirädern! Zumindest in Europa verbinden viele Motorradfahrer die Marke mit dem auffälligen Y-Konzept der Spyder- und Ryker-Modelle. Doch Can-Am hat eine lange Motorradgeschichte: In den 1970ern waren sie im Motocross erfolgreich, 1987 wurde die Motorradproduktion dann eingestellt. Jetzt folgt das Comeback – elektrisch, mit zwei neuen Modellen: dem Naked Bike „Pulse“ und der Adventure-orientierten „Origin“. Beide nutzen denselben Antriebsstrang, unterscheiden sich aber deutlich in Haltung und Zielgruppe.

Ich durfte die Can-Am Origin zwei Wochen lang im Alltag und auf kleinen Touren testen. Was taugt die erste Elektro-Enduro aus dem Hause BRP? Finden wir es heraus?

Design – futuristisch, aber vertraut

Die Origin wirkt auf den ersten Blick wie eine klassische Reiseenduro: aufrechte Sitzposition, Stollenbereifung (21″/18″), breiter Enduro-Lenker, drahtige Optik. Gleichzeitig ist klar: Hier steckt moderne Technik drin. Der geschlossene Kettentrieb in der einarmigen Schwinge, die großen seitlichen Kühlflächen für den Akku und das nahtlos integrierte LED-Tagfahrlicht geben dem Bike eine eigenständige, fast schon spacige Optik. Der hohe Lenker in Kombination mit dem schmalen Mittelteil sorgt für ein aufgeräumtes Cockpit – bis auf das schwere, leider unpraktische Ladekabel, das nirgends so richtig untergebracht werden kann.

Features und technische Basis

Im Herzen arbeitet ein von Rotax entwickelter, flüssigkeitsgekühlter E-Motor mit 35 kW Spitzen- und 20 kW Dauerleistung – ideal für A2-Fahrer:innen. Die A1-Version liefert 11 kW/23 kW. Das Drehmoment von 72 Nm liegt, typisch elektrisch, direkt an – das spürt man. Versorgt wird der Motor von einer 8,9 kWh-Batterie, die zentral im Fahrzeugrahmen integriert ist und auch tragendes Element der Konstruktion darstellt.

Das Fahrwerk stammt von KYB und bietet 255 mm Federweg vorn und hinten. Die Origin steht auf speichengefelgten Rädern, vorn 21, hinten 18 Zoll. Bereift war sie mit Dunlop D605-Gummis, die schon im Stand die Offroad-Ambitionen klar machen.

Highlight ist das große 10,25-Zoll-Touchdisplay mit Apple CarPlay-Integration, Fahrmodi-Anzeige, Performance-Monitoring und intuitiver Menüführung. Leider zeigt sich CarPlay im Test zickig: Nur mit originalem Lightning-Kabel stabil, Bluetooth brach bei mir regelmäßig ab. Immerhin: Die Bedienung über den Multifunktionsschalter links funktioniert zuverlässig.

Onroad: Komfortabel, souverän, limitiert

Auf Asphalt fährt sich die Origin souverän. Der E-Motor schiebt kräftig an – die Beschleunigung von 0-100 km/h erledigt die Origin in 4,3 Sekunden – die die Gasannahme ist direkt, aber nicht nervös. Im Stadtverkehr gleitet man wie auf Schienen, auf der Landstraße reicht die Leistung locker für zügiges Tempo.

Die Höchstgeschwindigkeit ist mit 129 km/h angegeben – das reicht für Landstraße und Stadtautobahn. Längere Autobahnetappen will man eh nicht fahren, denn die saugen den Akku schneller leer als man „Ladesäule“ sagen kann.

Die Bremsen greifen gut, das ABS regelt unauffällig. Der Schwerpunkt liegt angenehm tief, das Handling ist neutral, das Gewicht (187 kg) ist gut versteckt.

Im Alltag überzeugt das Bike durch seine einfache Bedienung und den fehlenden Lärm. Genau das ist aber auch ein Problem: Fußgänger hören dich nicht. In der Stadt daher ist Aufmerksamkeit gefragt.

Offroad: Traktion ohne Drama

Spannend wird’s, wenn der Asphalt endet. Um das zu testen bin ich eine Offroadtour mit Christian durchs Löwenberger Land gefahren. Er war mit seiner Zero DSRX unterwegs, also auch standesgemäß elektrisch.

Schon beim Toureneinstieg erwartete uns ein sehr sandiger Feldweg. Die Kombination aus fein dosierbarem Drehmoment, sechs Fahrmodi (inkl. Offroad und Offroad+) und der Möglichkeit, ABS und Traktionskontrolle zu deaktivieren, überzeugte von Anfang an und macht die Origin erstaunlich geländetauglich.

Je länger wir unterwegs waren, desto mehr genoss ich es, im Gelände elektrisch unterwegs zu sein. Kurz musste ich an meine ersten E-Offroadversuche im Electric Ride Park Hardegsen denken, wie zugänglich das damals schon war. Dank Elektromotor gibt’s kein Abwürgen, keine Kupplungsspielerei, kein untertouriges Ruckeln.

Selbst aus tiefem Sand zieht sich das Bike ruhig heraus – leise, kraftvoll und sauber. Christian kennt meine Offroad-Skills und sein Fahrkönnen im Gelände übertreffen meine bei weitem, schliesslich ist er ja auch Offroad-Instruktor. Aber es gab auf der Tour mehrere Passagen an denen er mit den 260kg seiner Zero kämpfen musste während ich mit der Can-Am an ihm vorbei ballerte. Christians O-Ton: „Entweder hast Du heimlich geübt oder auf einem Superman-Poster geschlafen!“ Ich gebe dieses Lob 1:1 an die Maschine weiter.

Die KYB-Komponenten schlucken kleinere Unebenheiten gut, bei schnellen Schlägen fehlt etwas Rückmeldung. Für Forstwege, Trails und Schotterstraßen reicht das völlig. Das Bike ist keine Rallye-Maschine, aber ein sehr angenehmer Begleiter fürs grobe Terrain – gerade für Einsteiger.

Gewöhnungsbedürftig jedoch fand ich die hohe Position der Fußrasten, die für einen enduro-untypischen spitzen Kniewinkel sorgte. Und beim Fahren im Stehen hätte ich mir einen Riser am Lenker gewünscht, um etwas aufrechter unterwegs zu sein.

Laden: Typ-2 ja, CCS nein

Geladen wird per Typ-2-Anschluss – entweder an der Wallbox oder mit einem separaten Ladegerät an der Haushaltssteckdose. Ein Schnellladesystem (CCS) gibt es nicht.

Ladezeiten: Von 20 auf 80 % in ca. 50 Minuten an der Wallbox, 0–100 % an der Steckdose eher fünf Stunden. Für eine tägliche Pendelstrecke reicht das völlig, auf längeren Touren muss man sehr bewusst planen. Was nervt: Das Ladekabel ist schwer, sperrig und hat am Bike keinen festen Platz.

Stauraum: wohin mit dem Gepäck

Andere Bikes wie eine Zero DS oder auch die zierliche Maeving haben unter der Tankatrappe einen größeren Stauraum. Die Can-Am Origin nicht. So bleibt mir nichts anderes übrig, als das 4,5 kg Ladekabel im Rucksack mitzuführen. Ja, es gibt auch kürzere Kabel für unterwegs im Zubehörhandel, zumindest dafür sollte auf der Can-Am Origin Platz sein.

Am Heck hat das Motorrad Aufnahmepunkte für das hauseigene LINQ-System, aber für andere Gepäcksysteme wie meine SW-Motech- oder die Kriega-Hecktaschen fehlen schlichtweg die Verzurrpunkte. Es gibt auch keine Sozius-Fußrasten denn die Origin ist als Einsitzer konzipiert. Beifahrersitz und Fußrasten kosten nämlich extra.

Preis: Premium-Anspruch, Premium-Preis

Die Origin kostet 16.499 Euro , die von mir getestete Origin ’73 sogar 18.599 Euro. Das ist viel Geld für ein Motorrad mit 115  km kombinierter Reichweite. Andererseits: Man bekommt ein sauber verarbeitetes, technisch interessantes, sehr fahraktives E-Bike von einem Hersteller mit hoher Entwicklungskompetenz. Die Zielgruppe sind A2-Fahrer:innen, Pendler:innen und technikaffine Early Adopters. Wer von Benzin auf Strom umsteigen will, findet hier eine gute Brücke.

Fazit: vielversprechender Start mit Ecken und Kanten

Die Can-Am Origin ist kein Blender. Sie fährt gut, macht im Gelände richtig Spaß, sie bringt spannende Details wie das Gasgriff-Rekuperieren und das wartungsarme Kettensystem.

Gleichzeitig ist sie keine klassische Reiseenduro. Die Reichweite reicht für Alltagsfahrten, aber nicht für den großen Trip. Die Ladesituation erfordert Planung, und Stauraum für das Kabel fehlt.

Dennoch: Als Erstlingswerk macht die Origin vieles richtig. Sie ist fahraktiv, hochwertig und zeigt, was mit einem durchdachten E-Konzept möglich ist – wenn man die Grenzen akzeptiert. Für Can-Am ist die Origin ein gelungener Neustart auf zwei Rädern. Und wer weiß: Vielleicht kommt ja bald eine Touring-Version mit größerem Akku und Gepäcksystem.