Motorrad-Magazin über Benzinkultur, Motorrad-Touren und Custombikes

Elektromotorrad ohne Rahmen: Joel Wengströms Exoskelett-Konzept

Zwischen den bekannten Marken, Custombikes und Urban Mobility Start-ups stach auf der diesjährigen Reload.Land ein Motorrad besonders ins Auge. Kein Logo, kein Serienname – aber eine Form, die hängen blieb: kantig, geschlossen, fast wie ein Panzer auf zwei Rädern. Was da auf seinem Podest stand, war kein fertiges Produkt, sondern eine Bachelorarbeit. Joel Wengström, Student an der Konstfack in Stockholm, präsentierte dort seinen Elektromotorrad-Prototypen – inspiriert von Polestar, Insektenanatomie und nachhaltigen Materialien.

Exoskelett statt Rahmen

Was man auf den ersten Blick sieht, ist keine klassische Rahmenkonstruktion mit aufgesetzten Komponenten. Stattdessen ein durchgehender Körper, in dem alles integriert ist: Motor, Akku, Elektronik. Wengström nennt das Konzept ein „Exoskelett“, angelehnt an den Aufbau eines Skorpions. Die Hülle ist nicht Verkleidung, sondern tragende Struktur – so wie beim Monocoque im Automobilbau. Nur eben in Biokomposit gefertigt.

Der Name des Prototyps – Exö – verweist auf diesen Gedanken: Abgeleitet vom altgriechischen „exō“ für „außen“, wie im Wort Exoskelett. Das griechische „ō“ ersetzte Wengström durch ein schwedisches „ö“, um den Bezug zu seiner Herkunft und zu seinem Hauptsponsor Öhlins herzustellen – deren Fahrwerkskomponenten eine zentrale Rolle im Konzept spielen.

Diese Idee entstand aus der Frage: Warum immer noch Metallrahmen plus Plastikkleid? Warum nicht alles in einem Guss denken – leichter, reduzierter, nachhaltiger?

Polestar auf zwei Rädern

Wengström wollte nicht nur ein funktionales Konzept entwickeln, sondern auch ein gestalterisch konsistentes. Dafür hat er sich die Designsprache von Polestar genau angeschaut: klare Linien, flache Flächen, präzise Kanten. Er analysierte Silhouetten, Proportionen und Lichtkanten und übertrug die markentypischen Elemente auf ein Zweirad. Der „Tank“ ist zwar funktional überflüssig, bleibt aber als Form erhalten – als Referenzpunkt beim Fahren und als gestalterisches Bindeglied zur Motorradwelt.

Auch Details wie die gelben Ziernähte auf der Sitzbank greifen Motive aus dem Polestar-Design auf – dort sind es die Sicherheitsgurte, hier wird es zur visuellem Code.

Biokomposit statt Kohlefaser

Die äußere Hülle des Prototyps wurde zwar noch aus dem 3D-Drucker gefertigt, das Zielmaterial ist jedoch ein ganz anderes: ein Flachs-basierter Biokomposit vom Schweizer Hersteller Bcomp. Dieses Material hat ähnliche Eigenschaften wie Carbon – bei deutlich geringerer Umweltbelastung. Es ist leicht, steif und formbar, gleichzeitig nachhaltig produziert.

Der Verzicht auf klassische Metalle und Kunststoffe ist nicht nur ein gestalterisches Statement, sondern ein Versuch, Motorradbau neu zu denken – vom Material her, nicht nur vom Look.

Vom Autosattlerzum Fahrzeugdesigner

Was das Projekt besonders spannend macht, ist nicht nur die Idee, sondern auch die Person dahinter. Joel Wengström kommt nicht aus einer klassischen Designerlaufbahn. Vor seinem Studium hat er eine Ausbildung zum Sattler gemacht und jahrelang Oldtimer-Innenräume restauriert. Er weiß, wie man mit Leder, Vinyl und Stoff umgeht – und mit Werkzeug. Seine Liebe zu Fahrzeugen begann mit einem umgebauten Volvo 240, seine erste eigene Maschine wurde direkt zur Café Racer umgebaut. Wengström vereint handwerkliche Tiefe mit gestalterischem Anspruch – und das merkt man seinem Prototypen an.

Designschule mit Motorrad-DNA

Dass solch ein Projekt an der Konstfack entsteht, überrascht nicht ganz: Auch Ola Stenegard, einer der prägendsten Motorraddesigner der letzten zwanzig Jahre, hat dort studiert. Erst bei BMW Motorrad, heute bei Indian Motorcycles – sein Einfluss auf die Szene ist sichtbar. Und vielleicht ist Wengström gerade dabei, in ähnliche Fußstapfen zu treten.

Und jetzt?

Das Feedback auf der Reload Land war überwältigend. Öhlins, deren Federelemente im Prototyp stecken, wollen das Bike in ihrer Ausstellung zeigen. Ob es je auf die Straße kommt, ist unklar. Aber klar ist: Wenn Designstudien die Zukunft zeigen sollen, dann war das hier ein ziemlich deutlicher Fingerzeig.

Fotos: u.a. Patricia Sevilla Ciordia, Jakob Fridholm, Emil Widstrand

Zurück

Ichiban Prototype 01 – das Akira-Bike wird Realität

Nächster Beitrag

Kawasaki Corleo Concept – Wenn das Motorrad laufen lernt

  1. Jürgen

    Das ist faszinierend. Ich mag den Gedanken, das Motorrad „neu zu denken“, nicht nur beim Antrieb, sondern auch in Design und Materialien.

    Hoffentlich wird was draus – Danke für den Post!

    • Ich war auch sehr begeistert von dem Prototypen und daher finde ich es noch wichtiger, so jungen Talenten auch hier eine Bühne zu geben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Die DSGVO-Checkbox ist ein Pflichtfeld

*

Ich bin einverstanden

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén