Zwei Tage, rund 600 Kilometer und kein Meter Autobahn. Die Royal Enfield Bear 650 durfte zeigen, was sie kann – auf Landstraßen, Kopfsteinpflaster, Schotter und zwischendurch auch mal im Sand. Beladen für eine kleine Tour, unterwegs in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Der perfekte Härtetest für einen klassischen Scrambler mit modernem Anspruch.
Packen, satteln, los
Schon das Gepäck war ein kleiner Test: Zwischen Rahmen und Anbauteilen ist wenig Platz. So musste der Tankrucksack auf den Tank gefummelt werden, und auch die Hecktasche mit Rockstraps fand nur mit etwas Geduld Halt. Aber: Es funktioniert und man kann so mit der Bear auch auf mehrtätige Tour gehen.

Tag 1 – An Havel und Elbe entlang
Los geht’s an der Zitadelle Spandau. Ein schöner Ort für einen Tourstart, denn kaum ist der Motor der Royal Enfield Bear 650 warm, rollt man durch den Spandauer Forst Richtung Norden und lässt die Stadt buchstäblich hinter sich. Zwischen den hohen Bäumen und schattigen Waldwegen kommt sofort das richtige Gefühl auf: raus, los, Ruhe.
Hinter Pausin wird’s kurviger. Kleine Kreisstraßen schlängeln sich durch die brandenburgische Landschaft, und die Bear 650 zeigt hier zum ersten Mal, wofür sie gemacht ist: flüssige Landstraße, nicht zu schnell, aber genau richtig für entspanntes Kurvenfahren. Über Tremmen geht es Richtung Walchow – eigentlich. Denn dort ist die Ortsdurchfahrt wegen Bauarbeiten gesperrt. Statt der groß ausgeschilderten Umleitung probiere ich die schmale Abkürzung über einen Feldweg. Legal, aber eher für Traktoren gedacht.
Die Bear nimmt’s gelassen. Schotter, fester Sand, ein kurzes Stück tieferer Boden – das alles steckt sie überraschend souverän weg. Klar, sie ist keine Enduro. Aber sie ist ausgewogen, gut zu kontrollieren und auch im Gelände nicht gleich überfordert.








Weiter geht’s am oberen Beetzsee entlang und weiter durchs Havelländische Luch– ein Stück Landstraße, das richtig Spaß macht. Weit gezogene Kurven, wenig Verkehr, viel Ausblick. Hier fühlt sich das Motorrad zuhause: aufrecht sitzen, Blick über Felder, ruhiger Motorlauf, einfach fahren. Ab Weinberg geht es westwärts, vorbei an Nennhausen, durch Bamme Richtung Rathenow. Dort dann der erste Tankstopp – für die Maschine und auch für den Fahrer. Ein belegtes Brötchen, ein Getränk und weiter geht’s.
Ab hier wird es nochmal richtig schön: Über das Elbe-Havel-Gebiet hinweg fahre ich durch den Truppenübungsplatz Klietz, dann weiter an der unteren Havel entlang. Die Landschaft wird flacher, weiter – und leerer. Das Fahrgefühl auf der Bear passt dazu. Sie will nicht rasen. Sie will rollen.
In Havelberg fahre ich mit der Fähre über die Elbe nach Rabel. Es folgt eine kleine Etappe auf der Südseite der Elbe: über Werben bis nach Seehausen in der Altmark. Ab hier zieht sich die Strecke etwas. Der Fluss ist selten zu sehen, die Straße lang und gerade. Nicht schlimm, aber auch kein Highlight.
Das kommt erst bei Schnackenburg: Noch eine Fähre – und ein perfekter Ort für eine Pause am Wasser. Nach dem Übersetzen mache parke ich die Bear in der Sonne und geniesse den Ausblick auf die Elbe. Schön.
Der letzte Abschnitt führt nördlich der Elbe über Lenzen und Lenzerwische bis Dömitz – hier treffen Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg aufeinander – geht es über die Brücke wieder auf die Südseite der Elbe. Die Dörfer heißen hier „Kamerun“ oder „Damnatz“, was zum leichten Gefühl von Fernreise passt. Ein Stück weiter dann: Hitzacker.
Die Bear 650 hat den Tag gut gemeistert. Egal ob Feldweg oder Kreisstraße, Kurve oder Fähre – sie ist nie überfordert, aber auch nie langweilig. Besonders die ruhigeren Abschnitte zeigen ihre Stärke: eine klassische Fahrmaschine, die lieber rollt als röhrt.

Übernachtungstipp: destinature Dorf Hitzacker
Wer zelten mag, aber keine Ausrüstung mitschleppen will, ist hier genau richtig: In kleinen Holzhütten mit richtigen Betten, Stromanschluss und Zugang zu modernen Sanitäranlagen schläft man naturnah, aber bequem. Das Konzept ist nachhaltig, die Atmosphäre ruhig und freundlich – ideal für Motorradreisende, die unkompliziert unterkommen wollen.
Tag 2 – Durch Prignitz, Wald und Seen zurück nach Berlin
Am zweiten Tag war ursprünglich eine große Runde über die Müritz mit rund 500 Kilometern geplant – inklusive 25 bis 30 Prozent Offroad. Doch der Mitfahrer musste kurzfristig absagen, und allein schien die Etappe zu ambitioniert. Also wird umgeplant. Lieber kürzer fahren, dafür mehr sehen.
Der Morgen beginnt mit einem kleinen Déjà-vu: Von Hitzacker zurück nach Dömitz, über die gleiche Strecke wie am Vortag. Doch dann biege ich nordöstlich ab. Kleine Dörfer, lange Alleen, viel Weite. Über Gorlosen und Dallmin schlängele ich mich durch die Landschaft, der Verkehr ist dünn, die Straße ruhig. Genau das richtige für die Bear.
Hinter Strehlen wird’s abwechslungsreicher. In der Region um Pritzwalk gibt es keine echten Höhenmeter, aber viel Natur. Die Strecke führt südlich an Kemnitz vorbei – nicht das in Sachsen, sondern das als Autobahnausfahrt bekannte Dorf in Brandenburg. Dann Herzsprung, Burger King-Pause am Autohof. Füße vertreten, weiter.







Ein paar Kilometer später beginnt mein eigentliches Highlight des Tages: die Gegend um Rheinsberg ist ein Paradies fürs Endurowandern. Ich nehme den Abzweig Richtung Stendenitz und Zermützel und finde mich auf schönen Schotterpisten im Wald und zwischen Dörfern wieder. Entlang des Zermützelsees, Tetzensees und Molchowsees rollt die Bear durch schattige Forstwege bis Alt-Ruppin, wo uns der Wald wieder ausspuckt.
Es geht weiter Richtung Osten, durchs Stechlin-Ruppiner Land. Noch einmal wird es etwas ruppiger – wenn die Baustellen-Umleitung kryptisch ausgeschildert ist und die Alternative ein paar hundert Meter Waldweg sind, nehmen wir das grobe Geläuf. Die Bear nimmt’s mit stoischer Ruhe.
Ab Sommerfeld ist Berlin wieder in Reichweite. Über Oranienburg geht es zurück in die Hauptstadt, diesmal von Norden.
275 Kilometer statt 500. Und keine Minute bereut. Weniger spektakulär als der erste Tag, aber landschaftlich abwechslungsreich und fahrerisch entspannend. Genau das, wofür die Bear gebaut ist. Weniger Dynamik als am ersten Tag, aber viel Landschaft und sehr angenehme Abschnitte im Rheinsberger Raum.
Fahrverhalten, Komfort & Technik
Die Royal Enfield Bear 650 ist kein Motorrad, das sich in Kurven hineinwirft oder mit sportlichem Ehrgeiz glänzt. Aber sie macht vieles richtig – gerade für den Zweck, für den sie gebaut wurde: entspanntes Touren auf gemischtem Terrain.
Der bekannte 648 cc Parallel-Twin liefert rund 47 PS – das klingt nach wenig, fühlt sich aber unterwegs stimmig an. Die Leistungsentfaltung ist linear und vorhersehbar. Auf der Landstraße hat man genug Druck aus dem Drehzahlkeller, um zügig mit dem Verkehr mitzuschwimmen. Überholen klappt am besten mit einem oder zwei Schaltstößen – keine Rakete, aber auch kein Problemfall. Der Motor läuft ruhig, mit angenehmem Sound und ohne nennenswerte Vibrationen. Selbst bei längeren Etappen bleibt der Charakter gelassen.

Das Fahrwerk ist, gelinde gesagt, unauffällig – im besten Sinne. Die neue Showa-Upside-Down-Gabel an der Front wirkt stabil, spricht sauber an und kommt auch mit Unebenheiten gut zurecht. Die beiden Federbeine am Heck sind etwas straffer abgestimmt, federn aber nicht unangenehm hart. Auf gutem Asphalt fährt sich die Bear ruhig und präzise, in Kurven bleibt sie neutral und leicht kontrollierbar. Auch bei flotterer Gangart gibt es kein Aufschaukeln oder ungewollte Bewegungen.
Was überrascht: wie souverän sie mit schlechtem Untergrund klarkommt. Kopfsteinpflaster in der Prignitz, lose Schotterwege in den Wäldern bei Rheinsberg, sogar ein paar sandige Baustellenumfahrungen – die Bear macht das alles mit. Sie bleibt dabei zwar keine echte Offroad-Maschine, aber sie gibt dem Fahrer nie das Gefühl, falsch zu sein. Man hat immer Kontrolle, die Geometrie stimmt, das Vorderrad bleibt ruhig.
Der Fahrkomfort passt dazu. Mit 1,82 m sitzt man aufrecht, der Kniewinkel ist angenehm, die Sitzbank – in diesem Fall die etwas höher gepolsterte aus dem Scrambler-Paket – ist selbst nach mehreren Stunden nicht unbequem. Das kleine Windschild über dem LED-Scheinwerfer nimmt einen Teil des Winddrucks vom Oberkörper. Alles in allem fühlt sich die Ergonomie durchdacht und tourentauglich an.
Auch technisch ist die Bear gut ausgestattet. Das zentrale TFT-Display ist scharf, kontrastreich und bei jedem Licht gut ablesbar. Man kann zwischen klassischen Anzeigen (Drehzahl, Tempo) und Navigationsansicht wechseln – Letztere funktioniert in Verbindung mit der Royal Enfield App. Schade nur: GPX-Import oder Routenplanung direkt in der App sind nicht vorgesehen oder gut versteckt. Wer seine Strecke vorher plant, fährt besser mit Handy-Navigation.
Lob gibt es für die serienmäßige USB-C-Steckdose, die moderne LED-Beleuchtung und die klar strukturierten Bedienelemente am Lenker. Alles wirkt solide, aufgeräumt und durchdacht. Kein unnötiger Schnickschnack, aber das, was man wirklich braucht – besonders auf Tour.
Kurz: Die Bear ist ein sehr ehrliches, kompetentes Motorrad. Gerade weil sie nichts beweisen will, passt sie so gut in ihren Einsatzzweck.
Was bei jeder Pause auffällt: Die Bear zieht Blicke an. Besonders ältere Herren bleiben stehen, fragen, ob das eine alte Maschine sei. Das Design trifft einen Nerv. Klassisch, aber nicht altbacken. Man kommt ins Gespräch. Und das ist irgendwie auch schön.
Fazit
Die Bear 650 ist kein Motorrad für Zahlenmenschen. Sie gewinnt nicht auf der Rennstrecke, sie beeindruckt nicht durch Datenblätter. Aber sie funktioniert im echten Leben. Sie ist bequem, durchdacht, zugänglich, solide gebaut und sieht gut aus. Wer Landstraße, ruhige Kurven und charmantes Design sucht, wird mit ihr glücklich.
Die Royal Enfield Bear 650 ist ein Motorrad für alle, die gerne fahren. Nicht schneller. Sondern lieber.
Marc
Das ist ein sehr schöner Bericht, Alex! Danke dafür!
LG
Marc (Speed Twin 1200 und Beta Alp 4.0)
Alexander
Hey, danke fürs schöne Feedback. Freut mich dass es Dir gefallen hat!
Peter
Da sitzt man morgens um 7 bei einem Kaffee und schmöckert etwas durchs Internet bzgl. Erfahrungsberichten der neuen Bear 650 und plötzlich bin ich hier gelandet.
Sehr schöner Bericht mit tollen Fotos, danke dafür! Ich bin die Bear vor kurzem alleine Probe gefahren für wenige Kilometer und war von der Leistung des doch kleinen Motors wirklich überrascht. Ich fuhr bis dato nur Chopper mit 1400ccm und ähnliches.
Würdest du die Bear als zu “schwach um die Brust“ ansehen wenn man zu zweit mehrere Tage unterwegs sein möchte? Bei uns in der Steiermark haben wir doch sehr viel Bergland.
Ich möchte nicht rasen sondern zügig voran kommen jedoch will ich bei einem Überholmanöver nicht jedes Mal Angst haben müssen wenn ich mit etwas Gepäck und meiner 50kg Dame unterwegs bin.
LG, Peter
Alexander
Hi Peter, mit Sozia und Gepäck in den Alpen wird es meiner Ansicht nach schwierig mit der Leistung der Bear. Da freut man sich doch eher über ne Leistung von 75 bis 90 PS.