Versuch macht klug, Übung macht den Meister. Bitte weitere Phrasen hier einfügen.
Auch wenn ich in über sechs Motorradjahren reichlich Kilometer abgespult habe, würde ich mich nicht als versierten Motorradfahrer bezeichnen. Erfahrung habe ich gesammelt auf Maschinen von 22 PS bis über 200 PS, vom Roller über Enduro bis hin zum Supersportler. Komplett analog bis hin zu allen erdenklichen Assistenzsystemen.
Trotz dieser Bandbreite an Fahrpraxis habe ich mir selber schon nach meiner Führerscheinprüfung auferlegt, regelmässig Fahrertrainings zu absolvieren. Über die Jahre habe ich mir in den aufeinander aufbauenden Trainings beim ADAC bis zum Top-Training hochgearbeitet. Bereits bei der Anmeldung wird darauf geachtet, daß die zugrunde liegenden Motorrad-Intensiv-Training sowie Motorrad-Perfektions-Training absolviert wurden. Ziel des Motorrad-Top-Trainings ist, noch den letzten Schliff für die eigene Fahrweise zu bekommen und zu lernen, auch unter extremen Bedingungen die Kontrolle über Ihr Fahrzeug behalten.
Das Training fand wie die vorherigen auch auf dem weitläufigen ADAC-Trainingsgelände im brandenburgischen Linthe statt. Die einstündige Anfahrt aus Berlin verbuchte als Warmfahren, teils über die Autobahn, teils über einsame Landstrassen. Am Sonntagmorgen vor neun Uhr war herrlich freie Fahrt angesagt. Angekommen in Linthe begrüßte uns unser Trainer Devid und stellte uns das Programm der kommenden acht Stunden Training vor, im Einzelnen:
- Technikcheck
- Einzelradbremsung aus hohen Geschwindigkeiten auf unterschiedlichen Fahrbahnbelägen
- Kurvenreiche, trainergeführte Fahrten auf der umlaufenden Rundstrecke
- Vertiefung von Kurventechniken und Lenktechniken
- Ausweichen im Kurvenverlauf auf nasser Fahrbahn
- Ausweichen mit Reaktion
- Trainieren von kurvengerechten Bremspunkten
- Flucht ins Gelände
- Fahren auf der großen Rundstrecke
Nach dem Überprüfen der Motorräder gingen wir zum Warmup auf die Kartbahn und zirkelten unsere Maschinen durch die engen Radien. Bereits hier ließen meine Fußrasten Material auf dem Asphalt. Um das ganze noch etwas anspruchsvoller zu gestalten, wurde die Gruppe zweigeteilt und die eine Hälfte fuhr entgegen der Fahrrichtung. Da wurde der Platz in den Kurven schon recht eng und man musste seine Fahrlinie sehr sauber halten.
Anschließend fuhren wir auf der großen Rundstrecke einige Runden um die Ideallinie kennenzulernen. Hierzu wechselte nach jeder Runde der Fahrer, der hinter dem Instruktor fuhr und ließ sich ans Ende des Feldes zurückfallen, bis jeder Mal dran war. Ich experimentierte etwas mit Brems- und Schaltpunkten und hatte mich relativ schnell auf ein passendes Schema eingeschossen. Meine MT-07 brillierte auch hier mit ihrer Fahrbarkeit: sehr stabil auf der Bremse, leicht beim Einwinkeln in die Kurve und druckvoll beim Beschleunigen aus der Kurve. Ich war wirklich erstaunt, wie früh ich in der Kurve schon ans Gas gehen konnte und den anderen Maschinen am Heck hängen konnte. Im Kreis der sieben Kursteilnehmer war ich der am schwächsten motorisierte. Fiel aber keinem negativ auf. Hehe.
Auf der Kreisbahn näherten wir uns der maximalen Schräglage an und übten anschließend das Bremsen in der Kurve, mal mit, mal ohne Flucht ins Gelände. Das Aufstellmoment des Motorrades beim Bremsen in der Kurve nutzten wir später auf der Rennstrecke fahrdynamisch in den engen Links-Rechts-Kurvenkombinationen. Hier konnte man das Aufstellmoment sehr gut zum Umsetzen des Motorrades in die folgende Kurve nutzen.
Mit jeder Runde verbesserte sich der Fahrfluß und ich feilte an meiner präferierten Fahrlinie. So hatte ich einen Riesenspaß daran, aus den beiden langen Linkskurven an der Kreisbahn – verbunden durch eine kurze Gerade – durch Wahl einer passenden Linie eine langgezogene Linkskurve zu machen, Eigentlich sind ja Rechtskurven meine Präferenz, aber so langsam wurde es auch linksrum immer besser.
Anschließend ging es beim Bremsen aus hohen Geschwindigkeiten ans Eingemachte. Die Referenzmarke legte einer unserer Mitfahrer mit seiner BMW S1000XR hin, da seine Maschine die meisten Helferchen an Bord hatte. Gemessen wurde die Verzögerung mit einem kleinen Messgerät, welches unser Trainer vorher am Tank der BMW befestigt hatte. Hier konnte man im Nachgang sehr deutlich die Regelfrequenz des ABS und die anliegende Verzögerung erkennen.
Der Zugewinn an Bremsstabilität durch ABS zeigte sich deutlich im Vergleich zu unserem einzigen Fahrer ohne ABS. Er musste immer wieder das springende und abhebende Hinterrad einfangen. Hatte er das den Tag über gut im Griff, passierte ausgerechnet beim letzten Bremsdurchgang das fatale: bei der Ausweichbremsung hatte er noch einen leichten Lenkanschlag nach links als er nach dem Hindernis wieder die Bremse zog und flog über den Lenker ab auf die rechte Schulter. Mit einer Fraktur endete für ihn das Training leider vorzeitig. Wir leisteten vor Ort gleich erste Hilfe und der Notarzt war schnell vor Ort. An dieser Stelle nochmals gute Besserung.
Nach diesem Schock für alle machten wir erstmal eine Pause um uns zu sammeln. Gemeinsam entschlossen wir uns doch, das Training noch zu Ende zu fahren. Wir fuhren zur Bergauf-S-Kurvenkombination der Rundstrecke. Dort gingen wir die Sektion erstmal zu Fuß ab und diskutierten Brems- und Einlenkpunkte sowie Kurvenlinien. Dann teilten wir die Gruppe in zwei Dreier-Teams auf. Jeder Fahrer bekam einen Beobachter, der ihm nach ein paar Turns Feedback gab zu seiner Fahrweise, anschliessend wechselten die Rollen. Diese Übung fand ich sehr spannend, konnte man sich doch einen guten Abgleich zu seinem persönlichen Eindruck abholen und auch mal schauen, wie andere die Aufgabe lösten.
Voller neuer Eindrücke und nach 8 Trainingsstunden auch einigermassen geplättet schlossen wir den Tag mit einer letzten Feedbackrunde ab und machten uns auf den Heimweg.
Dies sollte die letzte Ausfahrt mit meiner MT-07 gewesen sein, denn eine Woche später wurde sie mir aus der Garage geklaut. Keine 10 Monate durfte ich Freude an diesem tollen Motorrad haben. Gerade nach diesem ersten Tag auf der Rundstrecke hätte ich noch viel mehr Bock auf Rennstreckentrainings gehabt. So schlage ich mich erstmal mit Versicherungskram rum. Und wenn irgendwann das nächste Motorrad im Stall steht, gehe ich damit wieder nach Linthe spielen.
Schreibe einen Kommentar