Tag 22 – Palermo – Sciacca: Sizilien ist irgendwie anders
Heute früh wurde ich durch das sonore Brummen der Schiffsdiesel geweckt. Schnell waren die wenigen Klamotten zusammengepackt und mit einem Cappuccino an Deck die Morgenstimmung und anschließend die Einfahrt in den Hafen von Palermo genossen. Kurz vorm Anlegen dann in den Bauch der Fähre, die Tasche rein in den Koffer und die Rampe runter – ERSTER von der Fähre und von 22 Grad im Hafen empfangen. Puh ist das warm, wenn man eben noch eine frische Meeresbrise gewohnt ist.
Erst mal raus aus der Stadt. Kein leichtes Unterfangen, so groß wie dieser sizilianische Hafenmetropole ist. Es herrschte schon früh um 09:00 Uhr ein reges Gewusel und Treiben mit regem Straßenverkehr und vielen Obst-/Gemüse- und Blumenhändlern, die gerne mal in zweiter Reihe oder an „unmöglichen Ecken“ parkend ihre Ware feilboten. Aber Dank Navi ging das dann doch recht gut und schon ging es westlich entlang der Küste über Capaci – Terrasini – Castellammare zum Capo San Vito. Der erste Eindruck nach ca. 30 Kilometern: Wo bin ich hier gelandet ? Auf der Müllkippe ? Erschreckend, wie man/frau hier mit der Natur umgeht. Überall Müll am Straßenrand, bei einer Tunneldurchfahrt türmte sich Müllsack an Müllsack zwischen alten Autoreifen und sonstigem Unrat zu beiden Seiten an den Tunnelwänden. Viele Bauruinen und die Straßen sind auch nicht so der berauschend (immer im Vergleich zu den letzten Eindrücken auf Sardinien). Dazu kommt eine stetiger Rauchgeruch vor irgendwelchen kleinen Müllfeuern in der Nase.
Wie heißt es so schön: Jeder hat eine zweite Chance verdient! Diese hat Sizilien auch genutzt, denn je weiter ich mich von Palermo entfernt habe, desto besser wurden die Straßen und auch der Müll wurde weniger. Und die Natur hat auch ihren Beitrag zur Stimmungsaufhellung geleistet. Angekommen im Hafen von San Vito gab es ein „Molen-Essen“ und die Welt war so langsam wieder in Ordnung beim Blick auf das klarblaue Wasser und die Sonne im Gesicht.
Anschließend ging es weiter in Richtung Trapani, vorher aber links weg gen Calatafimi-Segesta. Aus der rauen, felsigen und karg bewachsenen Küstenlandschaft wurde eine zweite Toskana. Über hügeliges Land mit Wiesen, Feldern und vielen vielen Olivenhainen und Weinbergen ging es über Salemi – Santa Ninfa – Partanna – Montevago nach Sambucca di Sicilia und anschließend nach 270 Kilometern und zwischenzeitlich 32 Grad in mein B&B Il Mandaloro in Sciacca. Bis dahin hatte ich mich mit den wechselnden Straßenverhältnissen angefreundet: Oftmals viele Bodenwellen, gerne auch mit Versatz und Schlaglöchern wo man sie definitiv nicht vermuten würde und dann wieder über mehrere Kilometer wie glattgebügelt mit bestem Asphalt. Und die Toskana-artige Landschaft bietet auch viel fürs Auge (und die iPhone-Kamera). Aber eines bleibt trotzdem. Sobald ich – wo auch immer – kurz angehalten habe, um ein Foto zu schießen oder eine kurze Rast zu machen: Müll. Irgendwas achtlos Weggeworfenes liegt leider immer zu Füßen oder in unmittelbarer Nähe. Ich weiß, Motorradfahren ist auch eine Form der Umweltverschmutzung, aber trotzdem nehme ich meinen Abfall bis zur nächsten Tonne mit. Ich bin auf die morgigen Eindrücke auf dem Weg zu meinem nächsten Ziel Siracusa gespannt.
Tag 23 – Sciacca – Siracusa: Sizilien hat mehrere Gesichter
Nach einem gesunden Frühstück mit viel frischem Obst ging es bei leicht wolkigem Himmel und angenehmen 17 Grad los gen Siracusa. Auf dem Weg dahin stand als erstes Etappenziel das Tal der Tempel in Argimento. Als ich mich der Stadt näherte, hätte ich die Tempelanlagen hier nie vermutet – eine große Industriestadt, die selbst optisch auf den ersten Blick nicht viel hermacht. Aufgrund einer Brückensperrung musste ich dann auch noch durch einen unschönen Teil der Stadt fahren, kam aber direkt oberhalb der Tempelanlagen wieder an Ziel. Eigentlich wollte ich die Tempel zu Fuß erkunden, aber die Temperaturen waren einerseits schon in der prallen Sonne recht hoch und andererseits hatte ich mit mehr erwartet. Kurz entschlossen blieb ich auf dem Mopped sitzen, habe die Anlage auf 2 Rädern umrundet und dazu ein paar Bilder gemacht – Kultur Ende heute (dachte ich). Schließlich bin ich ja auch hier zum Motorradfahren.
Weiter ging es an der Küste entlang über Licata – Gela bis Vittoria. In diesem Abschnitt zeigte Sizilien – übertrieben gesagt – ihr verhülltes Gesicht. Verhüllt mit Plastik. Aber nicht (nur) wegen des herumliegenden Mülls, sondern ganze Landstriche waren unter Folie versteckt. Irgendwo müssen ja unsere Früchte und unser Obst in den Supermärkten Nordeuropas herkommen.
In Vittoria ging es dann in die Berge und von einem Kilometer auf den anderen waren die „Folienfelder“ verschwunden und es gab wieder blühende Landschaften: Felder auf denen das Getreide bereits reif war und sich die Ähren im Wind wogen, Olivenhaine und Weinberge sowie immer wieder Wiesen. Am Wegesrand standen gerne auch mal Büsche und Bäume in leuchtenden Farben, die man(n) daheim nur als Topfpflanze sieht.
Der Tipp von Cornelius Köster nach Ragusa zu fahren war Gold wert. Einerseits die Cattedrale di San Giovanni Battista als auch der Blick beim Verlassen der Stadt in Richtung Giarratana auf die Altstadt. In Serpentinen ging es aus der Stadt runter ins Tal und wieder hatte ich das Gefühl im satten Grün in eine neue Landschaft auf der kleinen Straße einzutauchen. Beinahe hätte ich den Navibefehl nicht gesehen und wäre an der Einfahrt zu SP 58 vorbeigefahren, die mich in Serpentinen wieder auf die andere Seite des Tals führte. Mit einem traumhaften Blick über die Landschaft wurde ich belohnt und kurvte auf schmalen – aber überwiegend gut ausgebauten – Straßen der SP 58 bis Giarratana, wo ich ebenfalls während einer kurzen Rast noch einmal die Chiesa Madre anschaute – immer wieder erstaunt über den Glanz und Prunk in den katholischen Kirchen, die von außen oftmals eher unscheinbar ausschauen.
Eigentlich wollte ich noch bis Vizzini auf der SS 194 fahren, um dann wieder gen Osten abzubiegen, beschloss aber adhoc kurz hinter Monterosso eine „Abkürzung“ nach Buccheri zu nehmen. Zumindest stand dort ein blaues Verkehrsschild mit der Aufschrift Buccheri. Nach einiger Zeit stand dann ein anderes Schild am Straßenrand, dass die offizielle Straße jetzt hier – warum auch immer – aufhört. Aber warum fährt man eine GS, um solche Schilder nicht auch mal ignorieren zu können. So hatte ich das Glück auf diesem Weg an der Grotta die Santi vorbeizukommen. Zwar nicht das 7. Weltwunder, aber ein Fresko an der Höhlendecke, welches einen kurzen Halt und ca. 5 minütigen Fußmarsch wert war.
Weiter ging es dann über die Anhöhen und durch Felder und Wiesen mit einem tollen Fernblick nach Buccheri und kurz danach auf eine frisch geteerte SS 124 gen Palazzolo. Fast hätte ich der Versuchung nicht widerstanden und wäre auf diesem neuen Belag weitergefahren, habe mich dann aber doch dazu entschlossen dem Navi zu gehorchen und der kurvenreichen Strecke über Monte Grosso und Solarino zu fahren – eindeutig eine gute Entscheidung.
Bis Siracusa war es dann nicht mehr weit und ich kam nach 315 Kilometern im B&B Al Palmento Cruillas an. Zwar etwas weit außerhalb, dafür aber mit einem Pool, den ich sofort nach der Ankunft nutzte, um danach am Pool noch einmal den Tag auf der Sonnenliege Revue passieren zu lassen. Mit der Erkenntnis, dass es im Landesinnere einfach schöner ist: Weniger Verkehr sowie viel schönere und abwechslungsreichere Ausblicke auf die Landschaft.
Tag 24 – Siracusa – Nicolosi : Einfach ist manchmal einfach besser
Heute war alles einfach. Warum? Einmal ein etwas anderer Tagesbericht.
Einfach mal nicht hinhören und aufregen: Aufwachen, das Fenster weit öffnen und der Natur und den Geräuschen drum herum lauschen …. Das muss vom Rasensprenger sein, was dort auf die Fliesen tröpfelt … oder sollte das etwas vom Himmel fallen? Egal, einfach nicht aufregen … und das war gut so, denn es fielen wahrhaftig entgegen der Wettervorhersage ein paar Tropfen, allerdings nur 5 auf den Quadratmeter und genau zu der Zeit, als ich aufgewacht bin. Wenige Minuten später war „alles vorbei“ und ein gutes ausgiebiges Frühstück konnte genossen werden.
Einfach auch mal eine Strecke zweimal fahren: Heute wollte ich eigentlich nicht weit vom Startpunkt weg mein Nachtlager in Nicolai aufschlagen, zuvor aber noch einen Schlenker ins Landesinnere machen. Dazu müsste ich aber eine Strecke zweimal fahren. Auch egal dachte ich mir, es gibt neue Perspektiven. Und dass dies der Fall sein sollte, bewahrheitete sich schon gleich zu Beginn auf dem Weg von Siracusa über Sortino und weiter nach Buccheri. Das Navi fand wieder eine andere Strecke als gestern und es war ein Highlight des Tages: Entlang eines Naturschutzgebietes ging es über Höhenwege mit besten Straßen, null Verkehr und einer wieder mal sehr abwechslungsreichen Natur.
Einfach mal für einen Moment Rallyefahrer sein: Kurz vor Buccheri wunderte ich mich über die vielen Striche und Nummerierungen auf der engen Straße. Erst dachte ich an die Aufstellung für einen Festzug, aber kurz darauf sah ich den Grund in Form von Reifen als Schutz vor jeder Betonkante oder Leitplanke: Hier fand vor kurzem eine Rallye statt – was natürlich den Rennfahrer in mir weckte und kurzfristig zu einer zügigeren Gangart anspornte.
Einfach mal überwältigt sein von der Natur: Hinter Buccheri auf dem Weg nach Grammichele war es dann soweit. Mitten in der Natur angehalten, ein paar Bilder gemacht, von der absoluten Ruhe (bis auf Kuhglockengebimmel und Vogelzwitschern) überrascht und dann – noch sehr unklar – im Nebel das Objekt gesehen, weshalb ich ja u.a auch hier bin: den Etna. Schon klasse dieser Anblick des Dreitausenders in der Ferne, wenn auch leicht verschwommen.
Einfach mal genießen: Die Strecke zwischen Grammichele und Caltagirone war wirklich zu genießen. Durch hügelige Landschaften mit reifen Getreidefeldern und blühenden Blumenwiesen glitt ich dahin. Keine Kurvenhatz, sondern einfach genusshaft bummeln und sich der hiesigen etwas langsameren Gangart anpassen. Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 km/h ist angesagt.
Einfach mal abseits fahren und einfach mal Glück haben: Nach Caltagirone wollte ich über San Michele Di Ganzaria nach Aidone fahren. Gesagt getan und dem Navi vertraut. Allerdings wurden die Straßen immer schmaler … bis zu einem Schild, dass diese Strecke ab hier definitiv gesperrt ist. Was solls, ich probiere es mal und so wurde abseits der offiziellen Straße fahren auch zu einem Erlebnis, denn die Strecke entpuppte sich über viele viele Kilometer als sehr schlechter Weg – abwechselnd Teerstraße und Schotterweg – gerne auch mal beides gemischt. Während eines Fotostopps wurde ich von zwei Autos überholt. Diese stand drei Kurven weiter mit einem weiteren Fahrzeug, mit Blaulicht auf dem Dach und zwei Carabinieri an jedem Wagenfenster und wild gestikulierenden Autofahrern. Mich würdigten die beiden Ordnungshüter beim Vorbeifahren keines Blickes – waren bestimmt auch Moppedfahrer.
Endlich hatte ich diesen schweißtreibenden Abschnitt hinter mich gebracht und freute mich über die neue frische Teerdecke (und dass ich keine Strafe bekommen hatte), da war ich auch schon mittendrin: 15 Kilometer Baustelle. Beginnend mit abgefräster Teerdecke, dann mit „angesprühter“ Vorbereitung für den Fertiger und dann mitten zwischen mit frischem Asphalt schwer beladen 30-Tonnern und anschließend die neue Teerdecke, aber nur auf einer Straßenseite, … und dann endlich ein Stück wirklich jungfräuliche Straße.
Einfach auch mal akzeptieren dass man unerwünscht ist: Eine späte Mittagsrast wollte ich dann vor Catenanuova einlegen und suchte mir dafür ein schattiges Plätzchen mitten „auf der Prärie“ unter einem Baum. Gerade als ich anfangen wollte, überfiel mich eine sehr aggressive Wespe. Mit einigen wilden Schlägen dachte ich, dass ich sie in die Flucht geschlagen hätte. Aber falsch gedacht, sie kam nach einigen Minuten zurück und noch aggressiver als vorher. Zum Glück gelang die Abwehr ein zweites Mal, war für mich aber das Zeichen, dass ich an diesem Ort nicht willkommen war und so packte ich ein und zog weiter meines Weges.
Einfach mal gaaanz weit schauen: Nach dieser tierischen Attacke zog es mich wieder aus der trockenen Tiefebene hinauf in die Berge. Deren Hänge waren zwar auch hier im Landesinnere trocken und dünn bewachsen, aber nach den fast 32 Grad in der Tiefebene wehte hier ein angenehm kühler Wind. Dass Menschen diesen gern genießen, konnte ich mir schwitzend durchaus in meiner Motorradkluft vorstellen, aber dass sich Menschen dazu so dicht oben auf einem Fels drängen, hätte ich nicht gedacht. Schon von weitem war Centuripe sichtbar. Gebaut wie ein Adlerhorst oben in den Bergen. Nicht nur von unten Bilder machen, sondern selbst von oben schauen war mein Credo. Auf den letzten Kilometern mit Serpentinen versehen, war der Weg schnell geschafft und ich konnte – wie die meisten Bewohner täglich – den Wahnsinnsausblick bei einer kühlenden Brise genießen.
Einfach mal laut hupen: Erst durch enge Gassen Centuripes und dann durch enge Kurven ging es an der anderen Seite wieder runter gen Ardano. Dabei immer fest im Blick den Etna, dessen Spitze sich leider intensiv hinter dicken Wolken versteckte, die zudem bedrohlich dunkel wurden. In der vorletzten Kurve von Ardano sah ich schon von Weitem zwei Hunde in der Sonne dösen. Nichts dabei denkend näherte ich mich in voller Konzentration auf den zunehmenden Verkehr vor der Tornante. Wie von der Trantel gestochen sprang plötzlich einer der Hunde auf, hechtete auf mich zu und versuchte mich zu fassen. Erst als ich die Hupe langanhaltend betätigte hat diese ihm wohl dann auch den gleichen Schrecken eingejagt wie er mir und er ließ von mir ab.
Einfach mal cool bleiben (werden): Nach dem Schrecken ging es durch Ardano den Berg hinauf am Fuße des Etna in Richtung meines Tagesziels Nicolosi. Auf schmalsten und sehr welligen Straßen mit stets wechselnder Landschaft wurde es mit jedem Kilometer kühler. Aus 32 Grad in Ardano wurden zwischenzeitlich kühlende und erfrischende 17 Grad. Die Bergspitze hüllte sich auch weiterhin in Wolken, aber das was er mal ausgespuckt hat, lag jetzt zunehmend in der Landschaft: Lavagestein und -geröll, erst vereinzelt und dann gut sichtbar erkaltete und verwitterte Lavaströme.
Nach einem sehr schönen Tag hier auf Sizilien erreichte ich mit weiteren 247 Kilometern auf dem Tacho meine heute Unterkunft „Etna House“ und wurde von der Chefin herzlichst empfangen. Nach einer ausgiebigen Dusche gab es im „AlPeRo“ dann Pasta und Vino Bianco. Dem Chef die Entscheidung überlassend, was man denn hier in Sizilien typisch als Pasta isst, empfahl er mich nicht das teuerste von der Karte, sondern „Pasta norma – con salsa di pomodore e melanzane“. Übersetzt: Nudeln mit Tomatensoße – ein einfaches Gericht, aber es war mit die beste Pasta, die ich in meinem Leben gegessen habe – und das sind bald 50 Jahre.
Heute war „einfach“ das einfach bessere Motto.
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